Die Engellehre anhand der Schriften
der großen Theologen und des kirchlichen Lehramtes

Hl. Thomas von Aquin: Summa Theologiae

Hl. Thomas von Aquin: Summa Contra Gentiles

Die Gesamtheit der Theologie des Hl. Thomas besteht aus mehren Bänden. In der Wirklichkeit sind es fünf  Bände. In der Logik aber hat es der große Theologe in drei unterteilt:
1. Teil: Gottes Schöpfung und sein Wirken in der Schöpfung
2. Teil: Das menschliche Handeln: Dieser Teil ist wiederum unterteilt in 2 Unterteilen:
"1.Teil des 2.Teiles" : Das Wesen des Handelns an sich und
"2. Teil des 2 Teiles" : Die Tugenden, Urquelle des menschlichen Handelns
3. Teil: Gottes Handeln im einst menschlichen Christus und im verklärten Christus, der durch seine Sakramente wirkt. Dieser Teil ist ebenfalls unterteilt in
"3. Teil" und "Ergänzung"

 

 


Seine ganze Theologie hat der Theologe im Stil der einzelnen Fragestellung aufgebaut. Zuerst wird die Frage gestellt, dann  mit Gründen dagegen (1. 2. 3) beantwortet, darauf mit einem weiteren Grund dafür oder dagegen beantwortet (Anderseits), und schließlich mit einer Erörterung, der definiten ANTWORT, behandelt. Danach folgt noch die Entkräftung der nach der Fragestellung gegebenen negativen  Gründe (Zu 1. zu 2. zu 3. ...)

Die Engel finden sich in den  Fragen in der rechten Spalte:

1. Teil:
50. - 64. FRAGE: Die Engelwelt
50. FRAGE: Vom Wesen der Engel überhaupt
51. FRAGE: Das Verhältnis der Engel zu den Körpern
52.  FRAGE: Vom Verhältnis der Engel zum Ort
53.  FRAGE: Von der Ortsbewegung der Engel
54.  FRAGE: Von der Erkenntnis der Engel
55.  FRAGE: Von dem Erkenntnismittel der Engel
56.  FRAGE: Über die Erkenntnis der Engel im Bereich der unstofflichen Dinge
57.  FRAGE: Von der Erkenntnis der Engel hinsichtlich der stofflichen Dinge
58.  FRAGE: Von der Weise des Erkennens der Engel
59.  FRAGE: Vom Willen der Engel
60.  FRAGE: Von der Liebe oder Zuneigung der Engel
61.  FRAGE: Von der Hervorbringung der Engel zum Sein der Natur
62.  FRAGE: Von der Vollendung der Engel im Sein der Gnade und Herrlichkeit
63.  FRAGE: Von der Schlechtheit der Engel in bezug auf ihre Schuld
64.  FRAGE: Von der Strafe der bösen Geister
65. FRAGE, Artikel 3: Sind d. Körperdinge  unter Vermittlung d. Engel hervorgebracht?
65. FRAGE, Artikel  4 :Sind die Wesensformen der Körper von den Engeln?
75. FRAGE, Artikel 7: Ist die Seele von der selben Art wie der Engel?
88. FRAGE, Artikel 1: Kann die menschliche Seele d.  Stofflose durch diese selbst erkennen?
88. FRAGE, Artikel 2: Kann unser Verstand durch Stoffliches das Stofflose  erkennen?
90. FRAGE, Artikel 3: Ob die Vernunftseele unmittelbar von Gott hervorgebracht wurde
93. FRAGE, Artikel 3: Ob d. Engel vollkommener ein Ebenbild Gottes ist als d. Mensch
94. FRAGE, Artikel 2: Ob Adam im Unschuldsstande die Engel in ihrem Wesen geschaut hat
106-114 Von den Engeln in Wirkung auf die Schöpfung
106.  FRAGE: Wie ein Geschöpf das andere bewegt
107.  FRAGE: Von der Sprache der Engel
108.  FRAGE: Von den Stufen der Engel nach Rangfolgen und Chöre
109.  FRAGE: Von den Stufenordnungen der bösen Engel
110.  FRAGE: Das Walten der Engel über die körperliche Schöpfung
111.  FRAGE: Von der Einwirkung der Engel auf den Mensch
112.  FRAGE: Von der Sendung der Engel
113.  FRAGE: Vom Beschützeramt der guten Engel
114.  FRAGE: Von der Anfechtung der bösen Engel
2. Teil
Einzelaspekte der Engel in 1. Teil des 2. Teiles
3. FRAGE,  Artikel 7: Ob uns die Erkenntnis der Engel glücklich macht?
89. FRAGE,  Artikel 4: Ob ein guter oder schlechte Engel leicht sündigen kann?
98. FRAGE,  Artikel 3: Wurde das Alte Gesetz durch Engel gegeben?
Einzelaspekte der Engel in 2. Teil des 2. Teiles
5. FRAGE,  Artikel 1: Hatten Engel und Mensch in ihrer ursprünglichen Seinsweise Glauben?
5. FRAGE,  Artikel 2: Ist in den gefallenen Engeln (noch) Glaube?
25. FRAGE,  Artikel 10: Müssen wir die Engel aus der heiligen Liebe lieben?
25. FRAGE,  Artikel 11: Müssen wir die Dämonen aus heiliger Liebe lieben?
172. FRAGE,  Artikel 2: Ergeht die prophetische Offenbarung durch Engel?
3. Teil
Einzelaspekte der Engel in 3. Teil
8. FRAGE,  Artikel 4: Ist Christus als Mensch das Haupt der Engel?
11. FRAGE,  Artikel 4: War das eingegossene Wissen Christi geringer als das der Engel?
12 FRAGE,  Artikel 4: Hat Christus von den Engeln Wissen empfangen?
30. FRAGE,  Artikel 2: Musste der Maria die Botschaft durch einen Engel gebracht werden?
30. FRAGE,  Artikel 3: Musste der Engel bei der Verkündigung an Maria  sichtbar erscheinen?
36. FRAGE,  Artikel 5: Musste die Geburt Christi durch den Engel und den Stern verkündet w.?
59. FRAGE,  Artikel 5: Erstreckt sich die richterliche Gewalt Christi auf die Engel?
64. FRAGE,  Artikel 7: Können die Engel Sakramente spenden?
80. FRAGE,  Artikel 2: Kann nur der Mensch oder können auch die Engel dieses Sakrament geistig empfangen?
Einzelaspekte der Engel in  Ergänzung
16. FRAGE,  Artikel 3: Ist der Engel, der gute oder böse, für die Buße empfänglich?
76. FRAGE,  Artikel 2: Werden die Engel auf irgendeine Weise zur Auferstehung beitragen?
89. FRAGE,  Artikel 3: Müssen die Engel richten?
89. FRAGE,  Artikel 4: Vollstrecken die Dämonen ihr  Gerichtsurteil an den Verdammten?
95. FRAGE,  Artikel 4: Besitzen die Engel Brautgaben?
96. FRAGE,  Artikel 9: Gebührt den Engeln ein Siegeszeichen?
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aller Fragen: Sum. Theol.

 

ERSTER TEIL

55. FRAGE

VON DEM ERKENNTNISMITTEL DER ENGEL

Im folgenden erhebt sich die Frage nach dem Er kenntnismittel der Engel.

Dazu ergeben sich drei Einzelfragen:
1. Erkennen die Engel alles durch ihre Wesenheit oder durch Erkenntnisbilder?
2. Wenn durch Erkenntnisbilder, ob durch solche gleicher Natur oder durch solche, die von den Dingen empfangen sind?
3. Erkennen die höheren Engel durch umfassendere Erkenntnisbilder als die niederen?

1. ARTIKEL
Erkennen die Engel alles durch ihre Wesenheit?

1. Dionysius sagt: Die Engel ,,wissen das, was auf der Erde ist, gemäß der eigenen Natur des Geistgrundes". Die Natur des Engels aber ist seine Wesenheit. Also erkennt der Engel durch seine Wesenheit die Dinge.

2. ,,In den unstofflichen Geschöpfen ist der Verstand und das, was erkannt wird, dasselbe" (Aristoteles). Das aber, was erkannt wird, ist dasselbe wie der Erkennende, auf Grund dessen, wodurch es erkannt wird. Also ist in den unstofflichen Geschöpfen, wie es die Engel sind, das, wodurch erkannt wird, die Wesenheit des Erkennenden selbst.

3. Alles, was in einem anderen ist, ist in ihm nach der Weise dessen, in welchem es ist. Der Engel aber hat eine Verstandesnatur Was also immer in ihm ist, ist in ihm auf verstehbare Weise. Alles aber ist in ihm, denn die niederen unter den Dingen sind der Wesenheit nach in den höheren, die höheren aber sind durch Teilnahme in den niederen. Darum sagt Dionysius dass Gott ,,die Gesamtheit in der Gesamtheit versammelt", d. h. alles in allem. Also erkennt der Engel alles in seinem Wesen.

ANDERSEITS sagt Dionysius, dass die Engel durch die Wesensgründe der Dinge erleuchtet werden. Also erkennen sie durch die Wesensgründe der Dinge und nicht durch die eigene Wesenheit.

ANTWORT: Das, wodurch der Verstand erkennt, wird mit dem erkennenden Verstand verglichen wie dessen Form, denn die Form ist es, wodurch das Wirkende wirkt. Damit aber das Vermögen vollkommen durch die Form ausgefüllt werde, dazu ist nötig, dass alles in der Form enthalten sei, worauf das Vermögen sich erstreckt. Und darum füllt in den vergänglichen Dingen die Form nicht vollkommen das Vermögen des Stoffes aus, denn das Vermögen des Stoffes erstreckt sich auf mehr, als die Fassungskraft dieser oder jener Form zulässt. — Das Erkenntnisvermögen des Engels aber erstreckt sich auf die Erkenntnis von allem, denn Gegenstand des Verstandes ist das Seiende oder das allgemeine Wahre. Die Wesenheit des Engels umfasst nun nicht alles in sich, da sie eine auf Gattung und Art eingeschränkte Wesenheit ist. Der göttlichen Wesenheit aber, welche unendlich ist, ist es eigen, dass sie schlechthin alles vollkommen umfasst. Und darum erkennt Gott allein alles durch Seine Wesenheit. Der Engel aber kann durch seine Wesenheit nicht alles erkennen, sondern sein Verstand muss durch gewisse Erkenntnisbilder zur Erkenntnis der Dinge vervollkommnet werden.

Zu 1. Wenn gesagt wird, der Engel erkenne auf Grund seiner Natur die Dinge, so bezeichnet der Ausdruck ,,auf Grund" nicht das Erkenntnismittel, welches eine Ähnlichkeit des Erkannten ist, sondern die Erkenntniskraft, welche dem Engel auf Grund seiner Natur zukommt.

Zu 2. Wie der Sinn im Wahrnehmen das Sinnenfällige im Wahrgenommensein ist (Aristoteles) — nicht etwa so, dass die Sinneskraft selbst die Ähnlichkeit des Sinnenfälligen wäre, welche im Sinn ist, sondern weil aus beiden eins wird wie aus Wirklichkeit und Anlage —, so ist auch der Verstand im Erkennen das Erkannte im Erkanntsein; nicht als ob das Wesen des Verstandes die Ähnlichkeit selbst wäre, durch welche er versteht, sondern weil jene Ähnlichkeit seine Form ist. Wenn aber gesagt wird: in den unstofflichen Geschöpfen ist der Verstand und das, was verstanden wird, dasselbe, so ist das genau dasselbe, wie wenn gesagt würde: der Verstand im Verstehen ist das Verstandene im Verstandensein; denn darum steht etwas Erkanntes im Erkanntsein, weil es unstofflich ist.

Zu 3. Was unter dem Engel steht und was über ihm steht, ist in gewissem Sinne in seinem Wesen; nicht vollkommen zwar noch nach dessen eigener Wesenhaftigkeit — da die Wesenheit des Engels, die eine endliche ist, auf Grund ihrer besonderen Wesenhaftigkeit von den anderen unterschieden wird —, sondern auf Grund einer gewissen allgemeinen Wesenhaftigkeit. In der Wesenheit Gottes aber sind alle Dinge vollkommen und nach ihrer (der Dinge) eigenen Wesenhaftigkeit, wie in der ersten und allumfassenden Wirkkraft, von welcher ausgeht, was immer in irgendeinem Ding Besonderes oder Gemeinsames da ist. Und darum hat Gott durch Seine Wesenheit eine besondere Erkenntnis von allen Dingen, nicht aber der Engel; dieser hat bloß eine allgemeine Erkenntnis.

2. ARTIKEL
Erkennen die Engel durch von den Dingen empfangen Erkenntnisbilder?

1. Alles, was erkannt wird, wird durch eine Ähnlichkeit seiner selbst im Erkennenden erkannt. Die Ähnlichkeit eines Dinges aber, die in einem anderen ist, ist dort entweder nach Weise eines Vorbildes, so dass jene Ähnlichkeit die Ursache des Dinges ist; oder sie ist dort nach Weise eines Abbildes, so dass sie vom Ding verursacht ist. Denn notwendigerweise ist alles Wissen des Erkennenden entweder Ursache des erkannten Dinges oder vom Ding verursacht Das Wissen des Engels aber ist nicht die Ursache der in der Natur vorhandenen Dinge, sondern bloß das göttliche Wissen. Also müssen die Erkenntnisbilder, durch welche der Verstand des Engels erkennt, von den Dingen empfangen sein.

2. Das Licht des Engels ist stärker als das Licht des wirkenden Verstandes in der Seele. Das Licht des wirkenden Verstandes aber löst die Erkenntnisbilder aus den Sinnesbildern heraus. Also kann das Licht des Engelverstandes die Erkenntnisbilder auch aus den Sinnendingen selbst herauslösen. Und so hindert nichts, zu sagen: der Engel erkennt durch von den Dingen empfangene Erkenntnisbilder.

3. Die Erkenntnisbilder, die im Verstande sind, verhalten sich zum Gegenwärtigen und Entfernten gleichgültig, außer sofern sie von den Sinnendingen empfangen werden. Wenn also der Engel nicht durch von den Dingen empfangene Erkenntnisbilder erkennt, so verhält sich seine Erkenntnis gleichgültig zum Nahen und Fernen, und so würde er ohne Grund in örtlicher Bewegung sein.

ANDERSEITS sagt Dionysius von den Engeln: ,,Sie erwerben die göttliche Erkenntnis nicht von den teilbaren oder sinnenfälligen Dingen."

ANTWORT: Die Erkenntnisbilder, wodurch die Engel erkennen, sind nicht von den Dingen empfangen, sondern naturgegeben. Die Unterscheidung und Ordnung der geistigen Wesen ist nämlich aufzufassen wie die Unterscheidung und Ordnung der körperlichen Wesen. Die obersten Körper nun besitzen ein Vermögen in ihrer Natur, das durch die Form gänzlich ausgefüllt wird; in den niederen Körpern aber wird das Vermögen des Stoffes nicht gänzlich ausgefüllt durch die Form, sondern nimmt jetzt die eine, jetzt die andere Form an von einem Wirkenden. — Desgleichen haben auch die niederen geistigen Wesen, nämlich die menschlichen Seelen, ein Erkenntnisvermögen das nicht von Natur ausgefüllt ist, sondern es wird in ihnen dadurch nach und nach ausgefüllt, dass sie von den Dingen geistige Bilder annehmen. Das Erkenntnisvermögen aber in den höheren geistigen Wesen, d. h. in den Engeln, ist von Natur aus durch Erkenntnisbilder ausgefüllt, sofern sie naturgegebene Erkenntnisbilder haben zur Erkenntnis all dessen, was sie natürlich erkennen können.

Und das wird auch aus der Seinsweise solcher Wesen klar. Denn die niederen geistigen Wesen, nämlich die Seelen, haben ein dem Körper benachbartes Sein, insofern sie Formen in Körpern sind; und darum kommt ihnen gerade aus ihrer Seinsweise zu, dass sie von Körpern und durch Körper ihre geistige Vollendung erlangen, sonst wären sie ohne Grund mit Körpern geeint. Die höheren Wesen jedoch, d. h. die Engel, sind der, Körper gänzlich ledig, indem sie unstofflich und in geistigem Sein gegründet sind, und darum erlangen sie ihre geistige Vollkommenheit durch eine geistige Ausströmung, wodurch sie von Gott die Erkenntnisbilder der erkannten Dinge zugleich mit ihrer geistigen Natur empfangen haben. — Darum sagt Augustinus, dass ,,die übrigen Geschöpfe, welche den Engeln nachstehen, so geschaffen werden, dass sie zuerst entstehen in der Erkenntnis der geistigen Geschöpfe und dann in ihrem natürlichen Sein".

Zu 1. Im Geist des Engels sind die Ähnlichkeiten der Geschöpfe nicht von den Geschöpfen selbst empfangen, sondern von Gott, welcher die Ursache der Geshöpfe ist und in welchem zuerst die Ähnlichkeiten der Dinge sind. Darum sagt Augustinus: ,,Wie das Wesensbild, wonach das Geschöpf geschaffen wird, früher im WORTE Gottes ist, als das Geschöpf, das geschaffen wird, in sich selbst ist, — so geschieht auch zunächst die Erkenntnis dieses Wesensbildes in der geistigen Schöpfung, und erst nachher findet die Gründung der [körperlichen] Schöpfung statt."

Zu 2. Von einem Endglied zum anderen gelangt man nur durch ein Mittelglied; das Sein der Form aber im Vorstellungsvermögen, welches zwar ohne den Stoff ist, nicht aber ohne stoffliche Bedingungen, ist ein Mittelglied zwischen dem Sein der Form, welche im Stoff ist, und dem Sein der Form, welche im Verstande ist durch die Loslösung vom Stoff und von den stofflichen Bedingungen. Mag deshalb der Verstand des Engels noch so mächtig sein, er könnte keine stofflichen Formen auf geistiges Sein zurückführen, wenn er sie nicht vorher auf das Sein vorgestellter Formen zurückführte. Das ist unmöglich, da er kein Vorstellungsvermögen besitzt (54, 5). — Auch bei der Annahme, er könnte geistige Erkenntnisbilder von stofflichen Dingen loslösen, würde er das doch nicht tun, weil er ihrer nicht bedürfte, da er naturgegebende geistige Erkenntnisbilder hat.

Zu 3. Die Erkenntnis des Engels verhält sich gleichgültig zur örtlichen Ferne und Nähe. Deswegen ist aber seine örtliche Bewegung nicht ohne Grund, denn er bewegt sich nicht zur Erwerbung von Kenntnissen, sondern um irgend etwas am Orte zu wirken.

 

3. ARTIKEL
Erkennen die höheren Engel durch allgemeinere Erkenntnisbilder als die niederen?

1. Das Allgemeine scheint das zu sein, was vom Besonderen losgelöst wird. Die Engel aber erkennen nicht durch Erkenntnisbilder, welche von den Dingen losgelöst sind [Art. 1]. Also kann nicht gesagt werden, dass die Erkenntnisbilder des Engelsverstandes mehr oder weniger allgemein sind.

2. Was im Besonderen erkannt wird, wird vollkommener erkannt, als was im Allgemeinen erkannt wird; denn etwas im Allgemeinen erkennen ist in gewissem Sinne ein Mittleres zwischen dem möglichen und dem wirklichen Erkenner. Wenn also die höheren Engel durch allgemeinere Erkenntnisformen erkennen als die niederen, so folgt, dass die höheren Engel eine unvollkommenere Erkenntnis haben als die niederen. Das ist sinnlos.

3. Ein und dasselbe kann nicht das eigentliche Wesensbild für vieles sein. Wenn aber der höhere Engel durch eine einzige allgemeine Erkenntnisform Verschiedenes erkennt, was der niedere Engel durch mehrere besondere Erkenntnisformen erkennt, so folgt, dass der höhere Engel sich einer allgemeinen Erkenntnisform bedient zur Erkenntnis von Verschiedenem. Also kann er nicht eine eigentliche Erkenntnis von beiden haben. Das scheint sinnlos.

ANDERSEITS sagt Dionysius, dass die höheren Engel ein allgemeineres Wissen haben als die niederen. Und im Buch von den Ursachen heißt es, dass die höheren Engel allgemeinere Erkenntnisformen haben.

ANTWORT: Darum sind unter den Geschöpfen einige höher, weil sie dem Einen, Ersten, das Gott ist, näher und ähnlicher sind Bei Gott aber ist die ganze Fülle geistiger Erkenntnis enthalten in Einem, nämlich in der göttlichen Wesenheit, durch die Gott alles erkennt. Diese geistige Fülle findet sich in den geschaffenen Geistern auf niederere Weise und weniger einfach. Darum müssen die niederen Geister das, was Gott durch Eines erkennt, durch Vieles erkennen, und um so mehr durch Vieles, auf einer je tieferen Seinsstufe ein Engel steht.

So wird denn, je höher ein Engel ist, er in demselben Masse durch weniger Erkenntnisbilder die Gesamtheit des Erkennbaren erfassen können. Und darum müssen seine Erkenntnisformen allgemeiner sein, indem sich eine jede davon gleichsam auf Mehreres erstreckt. — Dafür finden wir bei uns ein schwaches Beispiel. Es gibt nämlich Menschen, welche die geistige Wahrheit nicht erfassen können, wenn sie ihnen nicht Teil für Teil im einzelnen entfaltet wird, und das kommt von der Schwäche ihres Verstandes; andere wieder, welche einen stärkeren Verstand haben, können aus wenigem vieles erfassen.

Zu 1. Für das Allgemeine ist es zufällig, dass es von Einzeldingen losgelöst wird, indem der Verstand es er-. kennt und so von den Dingen Erkenntnis gewinnt. Wenn es jedoch irgendeinen Verstand gibt, welcher die Erkenntnis nicht von den Dingen empfängt, so wird das Allgemeine, welches von ihm erkannt wird, ,nicht von den Dingen losgelöst sein, sondern in gewissem Sinne den Dingen vorgegeben sein, sei es gemäß der Ursachenordnung, so wie die allgemeinen Wesensgründe der Dinge im WORTE Gottes sind, oder wenigstens der Natur nach, wie die allgemeinen Wesensgründe der Dinge im Verstande des Engels sind.

Zu 2. Etwas im Allgemeinen erkennen, wird in doppelter Bedeutung ausgesagt. Einmal von Seiten des erkannten Dinges, so nämlich, dass bloß die allgemeine Natur des Dinges erkannt wird. Und auf diese Weise etwas erkennen, ist das Unvollkommenere. Denn der würde den Menschen unvollkommen erkennen, der von ihm bloß erkennen würde, dass er ein Sinnenwesen ist. Sodann von Seiten des Erkenntnismittels. Und so ist es vollkommener, etwas im Allgemeinen zu erkennen, denn vollkommener ist der Verstand, welcher durch ein einziges allgemeines Mittel die besonderen Einzeldinge erkennen kann, als der, der es nicht kann.

Zu 3. Ein und dasselbe kann nicht das eigentümliche, genau übereinstimmende Wesensbild mehrerer Dinge sein. Wenn es aber deren Ordnung übersteigt, kann dasselbe als eigentlicher Wesensgrund und Ähnlichkeit verschiedener Dinge aufgefasst werden. So ist im Menschen die Klugheit eine allgemeine in bezug auf alle Handlungen der Tugenden; und sie kann auch aufgefasst werden als eigentlicher Wesensgrund und Ähnlichkeit der besonderen Klugheit, welche im Löwen ist in bezug auf alle Regungen der Großmut, und der Klugheit, welche im Fuchs ist in bezug auf die Regungen der Vorsicht, usf. Ähnlich wird die göttliche Wesenheit wegen ihrer Erhabenheit als der eigentliche Wesensgrund der Einzeldinge aufgefasst, denn es liegt in ihr das, wonach die Einzeldinge in ihrem (der Dinge) eigenen Wesensgrunde ihr angeglichen sind. Und auf dieselbe Weise ist von dem allgemeinen Wesensgrund, welcher im Geist des Engels ist, zu sagen, dass durch ihn wegen seiner höheren Ordnung vieles erkannt werden kann in eigentlicher Erkenntnis.

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56. FRAGE

ÜBER DIE ERKENNTNIS DER ENGEL IM BEREIC DER UNSTOFFLICHEN DINGE

Hierauf ergibt sich die Frage nach der Erkenntnis de Engel von Seiten der Dinge, die sie erkennen. Und zwar erstens nach der Erkenntnis der unstofflichen Dinge, zweitens nach der Erkenntnis der stofflichen Dinge.

Zum Ersten ergeben sich drei Einzelfragen:
1. Erkennt der Engel sich selbst?
2. Erkennt ein Engel den anderen?
3. Erkennt der Engel Gott durch das ihm Natur gegebene?

1. ARTIKEL
Erkennt der Engel sich selbst?

1. Dionysius sagt, dass die Engel ,,ihre eigenen Kräfte nicht kennen". Durch die Erkenntnis des Wesens aber wird die Kraft erkannt. Also erkennt der Engel seine Wesenheit nicht.

2. Der Engel ist eine Art Einzelwesen sonst würde er nicht handeln, da Handlungen den einzelnen in sich bestehenden Wesen zugehören. Kein Einzelding aber [als solches] ist verstehbar Also kann es nicht verstanden werden. Und so wird, da dem Engel nur die geistige Erkenntnis zu Gebote steht, kein Engel sich selbst kennen können.

3. Der Verstand wird vom verstehbaren Ding bewegt, denn Verstehen ist eine Art Empfangen (Aristoteles). Nichts aber wird bewegt oder empfängt von sich selbst, wie bei den körperlichen Dingen offensichtlich ist. Also kann der Engel nicht sich selbst verstehen.

ANDERSEITS sagt Augustinus, dass der Engel ,,in einer ersten Formung, d. h. in der Erleuchtung der Wahrheit, sich selbst erkennt".

ANTWORT: Der Gegenstand verhält sich anders bei der Tätigkeit, welche im Tätigen verbleibt, und bei der Tätigkeit, welche in ein Äußeres übergeht (54, 2; 14, 2). Denn bei der Tätigkeit, welche in ein Äußeres übergeht, ist der Gegenstand oder Stoff, in welchen die Tätigkeit übergeht, vom Tätigen getrennt; wie das Erwärmte vom Erwärmenden und das Gebäude vom Erbauenden. Bei der Tätigkeit aber, die im Tätigen verbleibt, muss dazu, dass die Tätigkeit anhebe, der Gegenstand mit dem Tätigen vereint werden; wie der Sinnesgegenstand mit dem Sinne vereint werden muss, damit er im Vollzug wahrnehme. Und zwar verhält sich der einer Fähigkeit geeinte Gegenstand zu dieser Tätigkeit wie die Form, welche der Tätigkeitsgrund bei den anderen tätigen Geschöpfen ist; wie nämlich die Wärme der formgebende Grund der Erwärmung beim Feuer ist, so ist das Erkenntnisbild des gesehenen Dinges der formgebende Grund des Sehens im Auge.

Es ist aber zu bedenken, dass ein solches Erkenntnisbild des Gegenstandes bisweilen nur der Möglichkeit nach in der Erkenntniskraft ist, und dann ist diese nur der Möglichkeit nach erkennend; dazu, dass sie der Wirklichkeit nach erkenne, ist erfordert, dass das Erkenntnis vermögen in den Vollzug übergeführt werde in bezug auf das Erkenntnisbild. Wenn das Erkenntnisvermögen aber das Erkenntnisbild immer im Vollzug besitzt, so kann es nichtsdestoweniger durch das Erkenntnisbild erkennen ohne irgendwelche voraufgehende Veränderung oder Empfängnis. Daraus geht hervor, dass das Vom-Gegenstand-bewegt-werden nicht zum Wesen des Erkennenden gehört, insofern er erkennt, sondern insofern er der Möglichkeit nach erkennend ist.

Es macht aber in bezug darauf, dass die Form Tätigkeitsgrund ist, keinen Unterschied aus, ob die Form selbst einem anderen innenhaftet oder in sich gegründet ist; denn die Wärme würde nicht weniger erwärmen, wenn sie in sich gegründet wäre, als wie sie innewohnend erwärmt.

Also: Wenn etwas in der Gattung des Verstehbaren sich wie eine verstehbare, in sich gegründete Form verhält, so versteht es sich selbst. Der Engel aber ist, weil er unstofflich ist, eine in sich gegründete Form und dadurch im Vollzug verstehbar. Daraus folgt, dass er durch seine Form, welche sein Wesen ist, sich selbst versteht.

Zu 1. Jener Wortlaut stammt aus der alten Übersetzung, welche durch die neue verbessert wird, wo es heißt, außerdem hätten auch sie, nämlich die Engel, ihre eigenen Kräfte erkannt; anstatt dessen hieß es in der anderen Übersetzung ,,... und immer noch erkennen sie ihre eigenen Kräfte nicht". — Gleichwohl kann auch der Wortlaut der alten Übersetzung gerechtfertigt werden in bezug darauf, dass die Engel ihre Kraft nicht vollkommen erkennen, sofern sie von der Ordnung der göttlichen Weisheit ausgeht, welche den Engeln unfassbar ist.

Zu 2. Dass sich der Verstand bei uns auf das Einzelne, was in den Körperdingen ist, nicht erstreckt, geschieht nicht infolge des Einzelseins, sondern infolge des Stoffes, welcher in ihnen Vereinzelungsgrund ist. Wenn darum irgendwelche Einzelwesen ohne Stoff in sich gegründet sind, wie es die Engel sind, so hindert nichts, dass sie im Vollzug erkennbar sind.

Zu 3. Bewegtwerden und Empfangen kommt dem Verstande zu, insofern er in Möglichkeit ist. Darum hat das nicht statt im Verstand des Engels; am wenigsten in bezug auf seine Selbsterkenntnis. — Auch ist die Tätigkeit des Verstandes nicht derselben Wesensart wie die Tätigkeit, welche sich im Körperlichen findet, die am einen anderen Stoff übergeht .

2. ARTIKEL
Erkennt ein Engel den anderen?

1. Der Philosoph sagt, wenn der menschliche Verstand in sich eine Natur hätte aus der Zahl der Naturen der Sinnendinge, so würde jene innerlich gegebene Natur verhindern, dass ihm die Außendinge noch erscheinen könnten; wie auch die Pupille, wenn sie irgendeine Farbe trüge, nicht jede Farbe sehen könnte. Doch so wie der menschliche Verstand sich verhält zur Erkenntnis der körperlichen Dinge, so verhält sich der Verstand des Engels zur Erkenntnis der unstofflichen Dinge. Da also der Verstand des Engels eine Natur von der Zahl jener Naturen in sich hat, scheint es, dass er die anderer [Engels-] Naturen nicht erkennen kann.

2. Im Buch von den Ursachen wird gesagt, ,,jedes Erkenntnisvermögen weiß, was über ihm steht, insofern es von diesem verursacht ist; und was unter ihm steht, am insofern es dessen Ursache ist". Ein Engel aber ist nicht die Ursache des anderen. Also erkennt ein Engel nicht den anderen.

3. Ein Engel kann den anderen Engel nicht erkennen durch die Wesenheit des Erkennenden selbst; denn jede Erkenntnis geht vor sich nach der Weise der Ähnlichkeit; die Wesenheit des erkennenden Engels aber ist der Wesenheit des erkannten Engels nur in der Gattung ähnlich (50, 4; 55, 1 Zu 3). Daraus würde folgen, dass der eine Engel vom anderen keine eigentliche, sondern nur eine Erkenntnis im allgemeinen hätte. Desgleichen kann auch nicht gesagt werden, dass ein Engel den anderen durch die Wesenheit des erkannten Engels erkennt, denn das, wodurch der Engel erkennt, ist dem Verstande innerlich, und bloß die heilige Dreifaltigkeit dringt in den Geistgrund ein. Desgleichen kann auch nicht gesagt werden, dass einer den anderen durch ein Erkenntnisbild erkennt, denn ein solches Erkenntnisbild würde sich vom erkannten Engel nicht unterscheiden, da beide unstofflich sind. Also ist es in keiner Weise wahrscheinlich, dass ein Engel den anderen erkennen könne.

4. Wenn ein Engel den anderen erkennt, so müsste das sein entweder durch ein angeborenes Erkenntnisbild, und so würde folgen, dass, wenn Gott jetzt aufs neue irgendeinen Engel erschaffen würde, er nicht erkannt werden könnte von denen, die jetzt sind. Oder aber durch ein von den Dingen erworbenes Erkenntnisbild, und so würde folgen, dass die höheren Engel die niederen, von welchen sie nichts empfangen, nicht erkennen können. Es ist also auf keine Art wahrscheinlich, dass ein Engel den anderen erkennt.

ANDERSEITS wird im Buch von den Ursachen g sagt, dass ,,jede Verstehensmacht die Dinge weiß, welche nicht vergänglich sind".

ANTWORT: Wie Augustinus sagt, sind die Dinge, welche im WORTE Gottes von Ewigkeit her voraus standen haben, auf doppelte Weise von ihm ausgeströmt, einmal in den Verstand der Engel, sodann um in den eigenen Naturen für sich zu bestehen. In den Engelsverstand sind sie dadurch übergegangen, dass Gott dem Ingrund des Engels die Ähnlichkeiten der Dinge einprägte, welche Er in ihrem natürlichen Sein hervorgebracht hat. Im WORTE Gottes aber waren nicht bloß die Wesensgründe der körperlichen Dinge, sondern auch die Wesensgründe aller geistigen Geschöpfe. So sind denn einem jeden der geistigen Geschöpfe vom WORTE Gottes alle Wesensgründe aller Dinge eingeprägt worden, sowohl der körperlichen wie auch der geistigen. So zwar, dass einem jeden Engel der Wesensgrund seiner ihm eigenen Art eingeprägt wurde zugleich dem natürlichen und dem erkenntnishaften Sein nach, auf dass er in der Natur seiner ihm eigenen Art gegründet sei und zugleich durch diese Natur sich erkenne. Die Wesensgründe der anderen Naturen aber, sowohl der geistigen wie der körperlichen, sind ihm eingeprägt worden bloß dem erkenntnishaften Sein nach; durch Erkenntnisbilder dieser Art sollte er nämlich sowohl die körperlichen wie die geistigen Geschöpfe erkennen.

Zu 1. Die geistigen Naturen der Engel werden voneinander unterschieden durch eine gewisse Ordnung (47, 2; 50, 4 Zu 1 u. 2; 10, 5). Und so hindert die Natur eines Engels seinen Verstand nicht, die anderen Engelsnaturen zu erkennen, da sowohl die höheren wie die niederen Verwandtschaft mit seiner Natur besitzen und ein Unterschied bloß auf Grund der verschiedenen Vollkommenheitsgrade besteht.

Zu 2. Der Zusammenhang von Ursache und Verursachtem hat nichts zu tun damit, dass ein Engel den anderen erkennt, es sei denn auf Grund des Zusammenhangs der Ähnlichkeit, insofern Ursache und Verursachtes ähnlich sind. Und wenn darum zwischen den Engeln Ähnlichkeit ohne Verursachung angenommen wird, so bleibt in dem einen Engel die Erkenntnis des anderen.

Zu 3. Ein Engel erkennt den anderen durch dessen Erkenntnisbild, das in seinem Verstande ist, welches von dem Engel, dessen Ähnlichkeit es ist, sich nicht unterscheidet auf Grund des Unterschiedes von stofflichem und unstofflichem Sein, sondern auf Grund des Unterschiedes von naturhaftem und erkenntnishaftem Sein. Denn der Engel selbst ist eine im Sein einer Natur gegründete Form, nicht aber sein Erkenntnisbild, welches im Verstand eines anderen Engels ist; dort hat es bloß ein erkenntnishaftes Sein. So hat auch die Form der Farbe an der Wand ein naturhaftes Sein, in dem weiterleitenden Mittel aber hat sie nur ein erkenntnishaftes Sein.

Zu 4. Gott hat ein jedes Geschöpf in einem Entsprechungsverhältnis zur Welt geschaffen, welche Er zu schaffen beschlossen hatte. Wenn darum Gott beabsichtigt hätte, mehr Engel oder mehr Dingnaturen zu erschaffen, so hätte Er auch den Geistgründen der Engel mehr Erkenntnisbilder eingeprägt. Z. B. wenn ein Baumeister ein größeres Haus hätte bauen wollen, so hätte er auch eine stärkere Grundmauer gelegt. Darum bedeutet es dasselbe, ob Gott dem Weltall irgendein Geschöpf hinzugefügt hätte und dein Engel irgendein Erkenntnisbild.

3. ARTIKEL
Können die Engel durch das Naturgegebene in ihnen Gott erkennen?

1.Dionysius sagt: Gott ist ,,über alle himmlischen Geister in Seiner unfasslichen Kraft erhaben" und nachher fügt er hinzu: ,,weil Er über alles Wesen ist, ist Er auch für alle Erkenntnis unerreichbar".

2. Gott hat einen unendlichen Abstand vom Verstand des Engels. Dinge aber, welche unendlichen Abstand haben, kann man nicht erreichen. Also scheint es. dass der Engel durch seine natürlichen Kräfte Gott nicht erkennen kann.

3. 1 Kor 13, 12 heißt: ,,Wir sehen jetzt durch einen Spiegel im Rätsel, dann aber von Angesicht zu Angesicht." Daraus lässt sich ersehen, dass die Gotteserkenntis doppelt ist: die eine, wodurch Er gesehen wird durch Seine Wesenheit, dieser zufolge heißt es, Er werde von Angesicht zu Angesicht gesehen; die andere, wodurch Er gesehen wird im Spiegel der Geschöpfe. Die erste Gotteserkenntnis konnte der Engel nicht durch seine natürlichen .Kräfte haben (12, 4). Die Erkenntnis im Spiegel aber kommt den Engeln nicht zu, weil sie die göttliche Erkenntnis nicht von den sinnenfälligen Dingen annehmen, wie Dionysius sagt. Also können die Engel durch ihre natürlichen Kräfte Gott nicht erkennen.

ANDERSEITS: Die Engel sind mächtiger in ihrer Erkenntnis als die Menschen. Die Menschen aber können durch ihre natürlichen Kräfte Gott erkennen; Röm 1, 19: ,,Was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar." Also um soviel mehr die Engel.

ANTWORT: Die Engel können einige Erkenntnis von Gott haben durch ihre natürlichen Kräfte. Zu dessen Einsicht ist zu bedenken, dass etwas auf dreifache Weise erkannt wird. In der ersten Weise durch die Gegenwart seiner Wesenheit im Erkennenden, wie wenn das Licht im Auge gesehen wird. Und so wurde gesagt (Art. 1), dass der Engel sich selbst erkennt. In anderer Weise durch die Gegenwart seiner Ähnlichkeit im Erkenntnisvermögen, wie der Stein vom Auge gesehen wird dadurch, dass seine Ähnlichkeit sich im Auge ergibt. In der dritten Weise dadurch, dass man die Ähnlichkeit des erkannten Dinges nicht unmittelbar vom erkannten Ding selbst empfängt, sondern von einem anderen Ding, worin es sich spiegelt, wie wenn wir einen Menschen im Spiegel sehen. — Der ersten Erkenntnis also entspricht die göttliche Erkenntnis, bei welcher Er durch Seine Wesenheit geschaut wird. Und diese Gotteserkenntnis kann irgend einem Geschöpf auf Grund seiner natürlichen Kräfte nicht zukommen (12, 4). — Der dritten Erkenntnis aber entspricht unsere Erkenntnis, wodurch wir Gott während der Pilgerschaft durch Seine Ähnlichkeit erkennen, welche in den Geschöpfen aufleuchtet; Röm 1, 20: ,,Denn was an Ihm unsichtbar ist, wird in den geschaffenen Dingen geistig wahrgenommen." Darum sagt man auch, wir sehen Gott ,,im Spiegel". — Die Erkenntnis aber, in welcher der Engel durch seine natürlichen Kräfte Gott erkennt, liegt in der Mitte zwischen diesen beiden; und sie entspricht jener Erkenntnis, in welcher das Ding gesehen wird durch ein von ihm empfangenes Erkenntnisbild. Weil nämlich das Bild Gottes in der Natur des Engels selbst durch seine Wesenheit eingeprägt ist, erkennt der Engel Gott, insofern er eine Ähnlichkeit Gottes ist. Nicht aber sieht er die Wesenheit Gottes selbst, weil keine geschaffene Ähnlichkeit genügt, die göttliche Wesenheit darstellen. Darum liegt diese Erkenntnis mehr auf Seiten der Erkenntnis-im-Spiegel, weil auch die Natur des Engels selbst eine Art Spiegel ist, welcher die göttliche Ähnlichkeit zeigt.

Zu 1. Dionysius spricht von der vollbegreifenden Erkenntnis, wie seine Worte ausdrücklich bekunden. Und so wird Er von keinem geschaffenen Verstand erkannt.

Zu 2. Daraus, dass Verstand und Wesenheit des Engels unendlichen Abstand von Gott haben, folgt, dass er Ihn nicht voll begreifen, noch auch durch seine Natur dessen Wesenheit schauen kann. Daraus folgt aber nicht, dass er gar keine Erkenntnis von Ihm haben könne, denn wie Gott unendlichen Abstand vom Engel hat, hat die Erkenntnis, welche Gott von sich selbst hat, unendlichen Abstand von der Erkenntnis, welche der Engel von Ihm hat.

Zu 3. Die Erkenntnis, welche der Engel natürlicherweise von Gott hat, liegt in der Mitte zwischen beiderlei Erkenntnis; und doch neigt sie mehr zu der einen (Antwort).

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57. FRAGE

VON DER ERKENNTNIS DER ENGEL HINSICHTLICH DER STOFFLICHEN DINGE

Hierauf stellt sich die Frage nach den stofflichen Dingen, welche von den Engeln erkannt werden.

Dazu ergeben sich fünf Einzelfragen.
1. Erkennen die Engel die Naturen der stofflichen Dinge?
2. Erkennen sie die Einzeldinge?
3. Erkennen sie das Zukünftige?
4. Erkennen sie die Gedanken der Herzen?
5. Erkennen sie alle Geheimnisse der Gnade?

1. ARTIKEL
Erkennen die Engel die stofflichen Dinge?

1. Das Erkannte ist eine Vervollkommnung des Erkennenden. Die stofflichen Dinge aber können nicht Vervollkommnungen der Engel sein, da sie diesen nachstehen. Also erkennen die Engel die stofflichen Dinge nicht.

2. Die geistige Schau geht auf das, was durch seine Wesenheit in der Seele ist (Glosse). Die stofflichen Dinge aber können nicht durch ihre Wesenheiten in der Seele des Menschen sein noch im Geist des Engels. Also können sie nicht in geistiger Schau erkannt werden, sondern bloß in der Schau des Vorstellungsvermögens, wodurch die Ähnlichkeiten der Körper erfasst werden, und in der sinnenhaften Schau, welche auf die Körper selbst geht. In den Engeln aber gibt es keine Schau des Vorstellungs-, bzw. Sinnesvermögens, sondern bloß die geistige Schau. Also können die Engel das Stoffliche nicht erkennen.

3. Die stofflichen Dinge sind [als solche] nicht im Vollzug verstehbar, sie sind jedoch erkennbar durch die Erfassung von Seiten der Sinne und des Vorstellungsvermögens, welches sich in den Engeln nicht findet. Also erkennen die Engel das Stoffliche nicht.

ANDERSEITS: Was die geringere Kraft vermag, vermag auch die höhere Kraft. Der Verstand des Menschen aber, welcher in der Ordnung der Natur unter dem Engelsverstand steht, kann die stofflichen Dinge erkennen. Also kann es viel stärker der Verstand des Engels.

ANTWORT: Die Ordnung in den Dingen ist so, dass das Höhere im Seinsbereich vollkommener ist als das Geringere, und das, was in den unteren Dingen mangelhaft, bruchstückartig und vielfältig enthalten ist, ist in den höheren Dingen erhabener und nach Art einer gewissen Ganzheit und Einfachheit. Und darum ist in Gott, gleichsam wie in dem höchsten Gipfel der Dinge, alles auf überwesentliche Weise vorher da nach Art Seines einfachen Seins (Dionysius). Die Engel aber sind unter den übrigen Geschöpfen Gott näher und ähnlicher, daher haben sie auch an der göttlichen Güte in größerem Umfange und vollkommenerem Maße teil (Dionysius). So ist also alles Stoffliche in den Engeln vorher da, einfacher zwar und unstofflicher als in den Dingen selbst, vielfältiger aber und unvollkommener als in Gott.

Alles aber, was in irgendeinem Ding ist, ist in ihm nach der Weise dessen, in dem es ist. Die Engel nun sind ihrer Natur zufolge Verstandeswesen. Und wie darum Gott durch Seine Wesenheit die unstofflichen Dinge erkennt, so erkennen die Engel diese dadurch, dass sie in ihnen sind durch ihre geistigen Erkenntnisbilder.

Zu 1. Das Erkannte ist die Vervollkommnung des Erkennenden auf Grund des geistigen Erkenntnisbildes, welches er im Verstande hat. Und so sind die geistigen Erkenntnisbilder, welche im Verstand des Engels sind, Vervollkommnungen und Wirklichkeiten des Engelsverstandes.

Zu 2. Der Sinn erfasst nicht die Wesenheiten der Dinge, sondern nur die äußeren Eigenschaften. Desgleichen auch das Vorstellungsvermögen, es erfasst nur die Ähnlichkeiten der Körper. Nur der Verstand aber erfasst die Wesenheiten der Dinge. Darum wird im dritten Buch von der Seele gesagt, der Gegenstand des Verstandes ist das Was-sein, bezüglich dessen er nicht irrt, wie auch er Sinn sich nicht irrt im Bereich des ihm zugeordneten sinnenfälligen. So sind also die Wesenheiten der stofflichen Dinge im Verstand des Menschen oder Engels, je das Erkannte im Erkennenden ist, und nicht seinem naturwirklichen Sein zufolge. Einiges aber gibt es, was im Verstand oder in der Seele ist in beiderlei Seinsweise. Und auf beides geht die geistige Schau.

Zu 3. Wenn der Engel die Erkenntnis der stofflichen Dinge von den stofflichen Dingen selbst empfinge, so müsste er sie im Vollzug verstehbar machen, indem er sie aus den stofflichen Bedingungen herauslöst. Er nimmt aber ihre Erkenntnis nicht von den stofflichen Dingen an, sondern durch die im Erkenntnisvollzug gegebenen, ihm ebenbürtigen Erkenntnisbilder der Dinge hat er Kunde von den stofflichen Dingen; wie unser Verstand auf Grund der Erkenntnisbilder, welche er erkennbar macht durch Herauslösung aus den stofflichen Bedingungen.

2. ARTIKEL
Erkennt der Engel die Einzeldinge?

1.Der Philosoph sagt: ,,Der Sinn geht auf das Einzelne, die Vernunft aber (bzw. der Verstand) auf das Allgemeine." In den Engeln aber gibt es keine Erkenntniskraft außer der geistigen (54, 5). Also erkennen sie das Einzelne nicht.

2. .Jede Erkenntnis erfolgt durch eine Art Angleichung des Erkennenden an das Erkannte. Es scheint aber nicht, dass es irgendeine Angleichung des Engels an das Einzelne als Einzelnes geben könne, da der Engel unstofflich (50, 2), Vereinzelungsgrund aber der Stoff ist. Also kann der Engel das Einzelne nicht erkennen.

3. Wenn der Engel das Einzelne weiß, dann entweder durch Erkenntnisbilder des Einzelnen oder durch Erkenntnisbilder des Allgemeinen. [Er erkennt] nicht durch Bilder des Einzelnen, weil er auf diese Weise unendlich viele Erkenntnisbilder haben müsste. Noch auch durch Erkenntnisbilder des Allgemeinen, weil das Allgemeine kein ausreichender Grund für die Erkenntnis des Einzelnen als Einzelnen ist, da im Al1gemeinen das Einzelne nur der Möglichkeit nach erkannt wird. Also erkennt der Engel nicht das Einzelne.

ANDERSEITS: Keiner kann behüten, was er nicht kennt. Die Engel aber behüten die einzelnen Menschen nach dem Psalmwort 91 (90), 11: ,,Seinen Engeln hat Er um deinetwillen befohlen, dich zu behüten." Also erkennen die Engel das Einzelne.

ANTWORT: Einige haben den Engeln die Erkenntnis der Einzeldinge gänzlich abgesprochen. — Doch widerspricht das erstens der Wahrheit des katholischen Glaubens, welcher annimmt, dass diese irdische Welt durch die Engel verwaltet wird; Hebr 1, 14: ,,Alle sind sie dienende Geister." Wenn sie aber die Erkenntnis der Einzeldinge nicht hätten, könnten sie keine Vorsehung ausüben über das, was in dieser Welt geschieht, denn die Handlungen gehen auf Einzelnes. Und das widerspricht dem Wort des Predigers (5, 5): ,,Sage nicht vor dem Engel, es gibt keine Vorsehung — Zweitens widerspricht das auch den Zeugnissen der Philosophie, wonach die Engel als Beweger der Himmelskreise angenommen werden, und dass sie dieselben kraft ihres Verstandes und Willens bewegen.

Und darum haben andere gesagt, dass der Engel zwar die Erkenntnis der Einzeldinge hat, aber in den allgemeinen Ursachen, worauf alle besonderen Wirkungen zurückgeführt werden, wie wenn ein Sternkundiger über irgendeine zukünftige Finsternis urteilt nach den Verhältnissen der himmlischen Bewegungen. — Doch weicht diese Annahme den besagten Unstimmigkeiten nicht aus, denn auf diese Weise das Einzelne in den allgemeinen Ursachen erkennen heißt, es nicht erkennen als Einzelnes, d. h. so wie es hier und jetzt ist. Der Sternkundige nämlich, welcher eine zukünftige Finsternis durch die Berechnung der Himmelsbewegungen erkennt, weiß sie im allgemeinen und nicht so wie sie hier und jetzt ist, außer er nimmt sie durch den Sinn auf. Die Verwaltung und die Vorsehung und die Bewegung aber gehen auf das Einzelne, so wie es hier und jetzt ist.

Und darum muss man anders sagen, nämlich: Wie der Mensch durch verschiedene Erkenntniskräfte alle Gattungen der Dinge erkennt, durch den Verstand das Allgemeine und Unstoffliche durch den Sinn das Einzelne und Körperliche, so erkennt der Engel durch die eine geistige Erkenntniskraft beides. Denn das besagt die Ordnung der Dinge, dass, je höher etwas ist, es eine um so einheitlichere und umfassendere Kraft besitzt; wie es beim Menschen erhellt, dass der Gemeinsinn, welcher höher ist als der besondere Sinn, wenn er auch nur ein einziges Vermögen ist, alles erkennt, was durch die fünf äußeren Sinne erkannt wird, und einiges andere, was kein äußerer Sinn erkennt, z. B. den Unterschied von weiß und süß. Ähnliches lässt sich auch in anderen Bereichen betrachten. Da nun der Engel in der Naturordnung über dem Menschen steht, ist es sinnwidrig zu sagen, dass der Mensch durch irgendeines seiner Erkenntnisvermögen etwas erkenne, was der Engel durch seine eine Erkenntniskraft nämlich den Verstand, nicht erkenne. Darum hält es Aristoteles für ungereimt, dass Gott den Streit, den wir kennen, nicht wisse.

Die Weise aber, durch die der Verstand des Engels das Einzelne erkennt, kann daraus ersehen werden, dass die Dinge, so wie sie aus Gott ausströmen, um in ihren eigenen Naturen gegründet zu bestehen, so auch ausströmen, um im Engelsverstand zu sein. Es ist aber offenbar, dass von Gott nicht bloß das in den Dingen ausströmt, was sich auf die allgemeine Natur bezieht, sondern auch das, was die Vereinzelungsgründe sind; denn Er ist die Ursache des ganzen (gesamten) Wesens des Dinges, sowohl in bezug auf den Stoff wie in bezug auf die Form. Und so wie Er verursacht, so erkennt Er auch, denn Sein Wissen ist die Ursache des Dinges (14, 8). Wie also Gott durch Seine Wesenheit, durch welche Er alles verursacht, die Ähnlichkeit aller Dinge ist und durch sie alles erkennt, nicht nur in bezug auf die allgemeinen Naturen, sondern auch in bezug auf ihre Einzelhaftigkeit, so erkennen die Engel durch von Gott eingegebene Erkenntnisbilder die Dinge nicht bloß in bezug auf die allgemeine Natur, sondern auch in ihrer Einzelhaftigkeit, sofern sie vermannigfaltigte Darstellungen jener einzigen und einfachen Wesenheit sind.

Zu 1. Der Philosoph spricht von unserem Verstand, der die Dinge nicht erkennt außer durch Herauslösung aus den stofflichen Bedingungen; und durch ebendiese Herauslösung aus den stofflichen Bedingungen wird das, was herausgelöst wird, ein Allgemeines. Diese Weise, zu erkennen, kommt aber den Engeln nicht zu (55, 2 u. 3); und darum handelt es sich nicht um denselben Sachverhalt.

Zu 2. Auf Grund ihrer Natur sind die Engel d stofflichen Dingen nicht so ähnlich, wie etwas einem anderen ähnlich ist auf Grund der Übereinkunft.( Gattung und Art oder in einer Eigenschaft; sondern wie das Höhere Ähnlichkeit besitzt mit dem Niederen, z. B. die Sonne mit dem Feuer. Und auf diese Weise ist auch in Gott die Ähnlichkeit aller Dinge, wohl in bezug auf die Form wie auch in bezug auf den Stoff, insofern in Ihm als in der Ursache vorher da ist, was immer in den Dingen gefunden wird. Und aus demselben Grunde sind die Erkenntnisbilder des Engelsverstandes, welche gewisse von der göttlichen Wesenheit abgeleitete Ähnlichkeiten sind, Ähnlichkeiten der Dinge nicht nur in bezug auf die Form, sondern auch in bezug auf den Stoff.

Zu 3. Die Engel erkennen das Einzelne durch allgemeine Formen, welche aber Ähnlichkeiten der Dinge sind, sowohl in bezug auf die allgemeinen Gründe wie auch in bezug auf die Vereinzelungsgründe. Wie aber durch ein und dasselbe Erkenntnisbild vieles erkannt werden kann, ist schon ausgeführt worden (55, 3 Zu 2 u. 3)

3. ARTIKEL
Erkennen die Engel das Zukünftige?

1. Die Engel sind mächtiger im Erkennen als die Menschen. Einige Menschen aber erkennen viel Zukünftiges. Sie erkennen also viel eher die Engel.

2. Gegenwart und Zukunft sind Unterschiede der Zeit. Der Verstand des Engels aber ist über der Zeit, denn "die Verstehensmacht wird mit der Ewigkeit gleichgesetzt" , d. h. mit dem Weltalter, wie im Buch von den Ursachen gesagt wird. Also unterscheiden sich in bezug auf den Engelsverstand Vergangenheit und Zukunft nicht, sondern er erkennt unterschiedslos beides.

3. Der Engel erkennt nicht durch von den Dingen empfangene Erkenntnisbilder, sondern durch allgemeine, angeborene Erkenntnisbilder. Die allgemeinen Erkenntnisbilder aber verhalten sich in gleicher Weise zu Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Also scheint es, dass die Engel unterschiedslos das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige erkennen.

4. Wie etwas entfernt heißt der Zeit nach, so auch dem Orte nach. Die Engel aber erkennen das dem Orte nach Entfernte. Also erkennen sie auch das der zukünftigen Zeit nach Entfernte.

ANDERSEITS: Das, was das eigentliche Zeichen der Göttlichkeit ist, kommt den Engeln nicht zu. Das Zukünftige aber erkennen ist das eigentliche Zeichen der Gottheit nach dem Worte Ies 41,23: ,,Verkündigt, was kommen wird in Zukunft, und wir werden erkennen, dass ihr Götter seid." Also erkennen die Engel das Zukünftige nicht.

ANTWORT: Das Zukünftige kann in doppelter Weise erkannt werden. Einmal in seiner Ursache. Und so kann das Zukünftige, was durch Notwendigkeit aus seinen Ursachen hervorgeht, mit sicherem Wissen erkannt werden, z. B. dass die Sonne morgen aufgeht. Was aber aus seinen Ursachen hervorgeht nur wie in der Mehrzahl der Fälle, wird nicht mit Gewissheit erkannt. sondern mit Mutmaßung, wie der Arzt die Gesundung des Kranken vorher erkennt. Und diese Weise der Erkenntnis liegt bei den Engeln vor, und das soviel mehr als bei uns, je allgemeiner und vollkommener sie die Ursachen der Dinge erkennen; so wie die Ärzte, welche schärfer die Ursachen sehen, besser über den zukünftigen Stand der Krankheit Voraussage treffen können. — Was aber aus seinen Ursachen hervorgeht wie in der Minderzahl der Fälle, ist gänzlich unbekannt wie das Zufällige und das von ungefähr Eintreffende.

In anderer Weise wird das Zukünftige erkannt in sich selber. Und so steht es allein bei Gott, das Zukünftige zu erkennen, nicht nur das, was aus Notwendigkeit hervorgeht oder wie in der Mehrzahl der Fälle, sondern auch das Zufällige und von ungefähr Eintreffende,, weil Gott alles in Seiner Ewigkeit sieht, welche, da sie einfach ist, der ganzen Zeit gegenwärtig ist und sie einschließt. Und daher geht der eine Blick Gottes auf alles, was in der ganzen Zeit geschieht, wie auf Gegenwärtiges, und Er sieht alles, wie es in sich selbst ist, wie oben ausgeführt wurde (14, 13), als vorn Wissen Gottes die Rede war. — Der Verstand des Engels aber und jeder geschaffene Verstand reicht nicht an die göttliche Ewigkeit heran. Darum kann von einem geschaffenen Verstand das Zukünftige nicht erkannt werden, wie es in seinem Dasein gegeben ist.

Zu 1.  Die Menschen erkennen das Zukünftige nur in seinen Ursachen oder wenn Gott es offenbart ist. Und so erkennen die Engel das Zukünftige noch viel tiefer.

Zu 2. Wenn auch der Verstand des Engels über der Zeit ist, wonach die körperlichen Bewegungen gemessen werden, so gibt es doch im Verstand des Engels eine Zeit auf Grund der Aufeinanderfolge geistiger Erkenntnisse; so sagt Augustinus: ,,Gott bewegt die geistigen Geschöpfe in der Zeit." Und darum, weil es eine Abfolge im Verstand des Engels gibt, ist ihm nicht alles, was durch die ganze Zeit hindurch geschieht, gegenwärtig.

Zu 3. Wenn auch die Erkenntnisbilder, die im Verstand des Engels sind, an und für sich betrachtet sich in gleicher Weise zum Gegenwärtigen, Vergangenen Zukünftigen verhalten, so verhält sich doch das Gegenwärtige, Vergangene und Zukünftige nicht in gleicher Weise zu den Erkenntnisbildern. Denn das, was gegenwärtig ist, hat eine Natur, durch welche es Erkenntnisbildern angeglichen wird, die im Geist des Engels sind, und so kann es durch sie erkannt werden. Was aber zu künftig ist, hat noch nicht die Natur, wodurch es diese angeglichen wird, darum kann es durch diese nicht erkannt werden.

Zu 4. Was örtlich entfernt ist, besteht schon in der Naturwirklichkeit und nimmt teil an irgendeiner Art, deren Ähnlichkeit im Engel ist. Das ist vom Zukünftigen nicht wahr. Und darum trifft der Vergleich nicht zu.

4. ARTIKEL
Erkennen die Engel die Gedanken der Herzen?

1. Gregorius sagt zu der Stelle Job 28,17: "Nicht wird ihm Gold oder Kristall gleich sein": ,,Dann", d. h. in der Seligkeit der Auferstehenden, ,,wird einer dem anderen durchsichtig sein wie sich selbst, und während der Verstand eines jeden angeschaut wird, wird gleichzeitig sein Gewissen durchschaut." Die Auferstehenden aber werden den Engeln ähnlich sein (Mt 22, 30). Also kann ein Engel das sehen, was im Gewissen des anderen ist.

2. Wie sich die Figuren zu den Körpern verhalten, so verhalten sich die geistigen Erkenntnisbilder zum Verstand. Nun aber: Sieht man den Körper, so sieht an dessen Gestalt. Also: Sieht man das geistige Selbstandwesen, so sieht man das geistige Erkenntnisbild, das in ihm ist. So scheint es denn, dass, wenn ein Engel den anderen sieht oder auch die Seele, er die Gedanken beider sehen könne.

3. Was in unserem Verstande ist, ist dem Engel ähnlicher als das, was im Vorstellungsvermögen ist, denn dies ist erkannt im Vollzug, jenes nur in der Möglichkeit. Das aber, was im Vorstellungsvermögen ist, kann vom Engel erkannt werden wie das Körperliche, da das Vorstellungsvermögen eine Kraft des Körpers ist. Also scheint es, dass der Engel die Gedanken des Verstandes erkennen kann.

ANDERSEITS: Was Gott eigen ist, kommt den Engeln nicht zu. Die Gedanken der Herzen aber zu kennen, ist Gott eigen: Jer 17, 9 f.: ,,Schlecht ist das Herz des Menschen und unerforschlich, wer wird es erkennen? Ich, der Herr, der Ich die Herzen durchforsche." Also erkennen die Engel die Geheimnisse der Herzen nicht.

ANTWORT: Ein Gedanke des Herzens kann doppelt erkannt werden. Einmal in seiner Wirkung. Und so kann er nicht nur vom Engel, sondern auch vom Menschen erkannt werden; und zwar um so schärfer, je verborgener solch eine Wirkung ist. Ein Gedanke wird nämlich bisweilen nicht nur durch eine äußere Handlung erkannt, sondern auch durch die Veränderung des Gesichts; und auch die Ärzte können manche Gemütsbewegungen am Puls erkennen. Um so mehr die Engel, und auch die bösen Geister, je tiefer sie solche verborgene körperliche Veränderungen durchdringen. Darum sagt Augustinus: ,,Sie durchschauen bisweilen die Zustände der Menschen, nicht bloß die im Wort ausgesprochenen, sondern auch die in Gedanken vorgestellten, mit aller Leichtigkeit, da gewisse Anzeichen am Körper von der Seele her ihnen Ausdruck geben"; obwohl er sagt, es sei nicht auszumachen, wie das geschehe.

Auf andere Weise können die Gedanken erkannt werden, sofern sie im Verstande sind, und die Gemütsbewegungen, sofern sie im Willen sind. Und so kann allein Gott die Gedanken der Herzen und die Regungen der Willen erkennen. Der Grund dafür liegt darin, dass der Wille des vernunftbegabten Geschöpfes allein Gott untersteht, und Er allein kann auf ihn einwirken, der sein Hauptgegenstand ist als letztes Ziel; und das wird später klarer erhellen (105,4 u. 106, 2). Und darum ist das, was im Willen allein ist oder was vom Willen allein abhängt, allein Gott bekannt. Es ist aber offensichtlich, dass es vom Willen allein abhängt, ob jemand etwas im Vollzug betrachtet, denn wenn jemand das Gehaben des Wissens oder geistige Erkenntnisbilder hat, die in ihm sind, so bedient er sich ihrer, wann er will. Und darum sagt der Apostel in 1 Kor 2,11: ,,Was des Menschen ist, weiß niemand als der Geist des Menschen, der in ihm ist."

Zu 1. Der Gedanke eines Menschen wird vom anderen nicht erkannt wegen eines zweifachen Hindernisses: wegen der Schwerfälligkeit des Leibes und weil der Wille seine Geheimnisse verschließt. Das erste Hindernis wird aufgehoben werden bei der Auferstehung und findet sich nicht bei den Engeln. Das zweite Hindernis aber wird bleiben nach der Auferstehung und findet sich eben jetzt bei den Engeln. Trotzdem wird die Klarheit des Leibes die Beschaffenheit des Seelengrundes in bezug auf den Grad der Gnaden und Herrlichkeit spiegeln. Und so wird der eine den Seelengrund des anderen sehen können.

Zu 2. Wenn auch ein Engel die geistigen Erkenntnisbilder des anderen sieht darum, weil die Art und Weise der geistigen Erkenntnisbilder gemäß ihrer größeren oder geringeren Allgemeinheit zu dem Adel der Selbstandwesen in angemessenem Verhältnis steht, so folgt daraus doch nicht, dass der eine erkennt, wie der andere sich dieser geistigen Erkenntnisbilder bedient, wenn er im Vollzug betrachtet.

Zu 3. Das Strebevermögen des Tieres ist nicht Herr seiner Handlungen, sondern es folgt dem Eindruck einer anderen körperlichen oder geistigen Ursache. Weil die Engel also die körperlichen Dinge und deren Zustand kennen, können sie durch diese erkennen, was im Strebevermögen und in den Eindrücken des Vorstellungsvermögens der Tiere ist und auch der Menschen, sofern in diesen bisweilen das sinnliche Strebevermögen in Tätigkeit tritt infolge eines körperlichen Eindruckes, wie das bei den Tieren immer der Fall ist. Dennoch erkennen die Engel nicht notwendig die Bewegung des sinnlichen Strebevermögens und die Eindrücke des Vorstellungsvermögens des Menschen, sofern sie vom Willen und vom Verstande gelenkt werden, weil auch der niedere Teil der Seele in gewissem Sinne an der Vernunft teilhat, so wie der dem Befehlenden Gehorchende (Aristoteles). — Doch folgt daraus nicht, dass der Engel, wenn er erkennt, was im sinnlichen Strebevermögen oder im Vorstellungsvermögen des Menschen ist, das erkenne, was im Gedanken oder im Willen ist, weil der Verstand oder der Wille nicht dem sinnlichen Strebevermögen und dem Vorstellungsvermögen unterliegt, sondern sich ihrer verschieden bedienen kann.

5.ARTIKEL
Erkennen die Engel die Geheimnisse der Gnade?

1. Unter allen Geheimnissen ist das Erhabenste das Geheimnis der Menschwerdung Christi. Dieses aber haben die Engel von Anfang an erkannt; Augustinus sagt nämlich: ,,Dieses Geheimnis war von Ewigkeit her in Gott verborgen, so jedoch, dass es den Fürstentümern und Mächten unter den himmlischen Wesen zur Kenntnis gelangte." Und der Apostel sagt in 1 Tim 3,16: ,,Den Engeln ist erschienen jenes große Sakrament der Liebe." Also erkennen die Engel die Geheimnisse der Gnade.

2. Die Gründe aller Geheimnisse der Gnade sind in der göttlichen Weisheit enthalten. Die Engel aber sehen die Weisheit Gottes selbst, welche dessen Wesenheit ist. Also erkennen die Engel die Geheimnisse der Gnade.

3. Die Propheten werden durch die Engel unterrichtet, wie aus Dionysius hervorgeht. Die Propheten aber haben die Geheimnisse der Gnade erkannt; Am 3,7: ,,Gott der Herr tut nichts, Er habe denn Sein Geheimnis Seinen Knechten, den Propheten, geoffenbart." Also erkennen die Engel die Geheimnisse der Gnade.

ANDERSEITS: Keiner lernt, was er weiß. Die Engel aber, auch die höchsten, fragen nach den göttlichen Geheimnissen der Gnade und lernen sie [kennen]; Dionysius sagt nämlich von der Hl. Schrift: ,,Sie führt einige himmlische Wesen ein, welche an Jesus selbst Fragen stellen und die Wissenschaft des göttlichen Wirkens für uns kennen lernen, und Jesus belehrt sie unmittelbar" wie dies erhellt wird bei Jes (63, 1), wo Jesus den Engel auf die Frage: ,,Wer ist jener, der da kommt von Edom?" antwortet: ,,Ich, der Ich Gerechtigkeit spreche." Also erkennen die Engel die Geheimnisse der Gnade nicht.

ANTWORT: In den Engeln ist eine doppelte Erkenntnis. Eine natürliche, der zufolge sie die Dinge sowohl durch ihr Wesen als auch durch angeborene Erkenntnisbilder er kennen. Und auf Grund dieser Erkenntnis können die Engel die Geheimnisse der Gnade nicht erkennen. Denn diese Geheimnisse hängen vom bloßen Willen Gottes ab; wenn aber ein Engel die Gedanken eines anderen Engels; welche von dessen Willen abhängen, nicht erkennen kann, so kann er um so weniger das erkennen, was vom bloßen Willen Gottes abhängt. Und so folgert der Apostel 1 Kor 2,11: ,,Was im Menschen ist, weiß niemand als der Geist des Menschen, der in ihm ist. So auch erkennt niemand, was Gottes ist, außer der Geist Gottes."

Es gibt aber eine andere Erkenntnis der Engel, die sie selig macht, wodurch sie das WORT schauen und die Dinge im WORT. Und in dieser Schau erkennen sie die Geheimnisse der Gnade, zwar nicht alle Geheimnisse und auch nicht alle Engel in gleicher Weise, sondern so, wie Gott es ihnen offenbaren will; 1 Kor 2,10: ,,Uns aber hat es Gott geoffenbart durch Seinen Geist," So zwar, dass die höheren Engel, welche die göttliche Weisheit scharfsichtiger schauen, mehr Geheimnisse und höhere in der Gottesschau selbst erkennen, welche sie den niederen Engeln kundtun, indem sie diese erleuchten. Und von diesen Geheimnissen haben sie einige von Anfang ihrer Erschaffung an erkannt; über andere Geheimnisse wieder werden sie, je nachdem es ihren Ämtern zukommt, belehrt.

Zu 1. Über das Geheimnis der Menschwerdung Christi kann man in doppelter Weise sprechen. Einmal im allgemeinen‘ und so ist es allen geoffenbart worden vom Anfang ihrer Seeligkeit an. Der Grund dafür liegt darin, dass dieses eine Art allgemeines Gesetz ist, worauf alle ihre Ämter hingeordnet sind, denn alle sind ,,dienende Geister, zur Dienstleistung gesandt um derentwillen, die die Erbschaft des Heiles empfangen" (Hebr 1,14). Und dies geschieht durch das Geheimnis der Menschwerdung. Darum mussten alle von Anfang an insgemein über dieses Geheimnis belehrt werden. — Sodann können wir vom Geheimnis der Menschwerdung sprechen in bezug auf die besonderen Bedingungen. Und so genommnen sind nicht alle Engel von Anfang an über alles belehrt worden, sondern einige, sogar höhere Engel, haben später Kenntnis empfangen, wie aus der oben angeführten Stelle aus Dionysius erhellt.

Zu 2. Wenn auch die seligen Engel die göttliche Weisheit schauen, so begreifen sie diese doch nicht ganz. Und darum brauchen sie nicht alles zu erkennen, was in ihr verborgen ist.

Zu 3. Was immer die Propheten durch göttliche Offenbarung an Gnadengeheimnissen erkannten, ist in viel lichtvollerer Weise den Engeln geoffenbart worden. Und wenn auch Gott den Propheten das, was Er bezüglich des menschlichen Heiles tun werde, im allgemeinen geoffenbart hat, so haben doch die Apostel manches Besondere dabei erkannt, was die Propheten nicht erkannt hatten; Eph 3,4 f.: ,,Daran könnt ihr, wenn ihr es lest, meine Einsicht in das Geheimnis Christi erkennen, welches in anderen Geschlechtern den Menschenkindern nicht kundgemacht wurde, wie es jetzt Seinen heiligen Aposteln geoffenbart wurde." Auch unter den Propheten selbst haben die späteren erkannt, was die früheren nicht erkannt halten; Ps 119 (118),100: ,,Mehr als die Alten habe ich Einsicht gehabt." Und Gregorius sagt: ,,Durch die Abfolgen der Zeiten wuchs die Mehrung der göttlichen Erkenntnis."

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58. FRAGE

VON DER WEISE DES ERKENNENS DER ENGEL

Hierauf betrachten wir die Erkenntnisweise der Engel.

Dazu ergeben sich sieben Einzelfragen:
1. Ist der Verstand des Engels bisweilen im möglichen Vollzug, bisweilen im wirklichen Vollzug?
2. Kann der Engel vieles zugleich erkennen?
3. Erkennt er fortschreitend?
4. Erkennt er durch Verbinden und Trennen?
5. Kann im Verstand des Engels Falschheit sein?
6 Kann die Erkenntnis des Engels Schau im Morgenlicht und Schau im Abendlicht heißen?
7. Ist die Schau im Morgenlicht und Abendlicht dieselbe oder verschieden?

1. ARTIKEL
Ist der Verstand des Engels bisweilen im möglichen Vollzug, bisweilen im wirklichen Vollzug?

1. Bewegung ist die Wirklichkeit eines in Möglichkeit Befindlichen (Aristoteles). Die Geistgründe der Engel aber sind durch Erkennen in Bewegung, wie Dionysius sagt. Also sind die Geistgründe der Engel bisweilen in Möglichkeit.

2. Da das Verlangen auf ein nichtgehabtes Ding geht, das man jedoch haben kann, so ist, wer immer etwas zu erkennen verlangt, in der Möglichkeit dazu. Es heißt aber in 1 Petr 1,12: ,,... welchen die Engel zu schauen verlangen". Also ist der Verstand des Engels bisweilen in Möglichkeit.

3. Im Buch von den Ursachen wird gesagt, dass das Verstandeswesen erkennt ,,nach der Weise seiner Wesenheit". Die Wesenheit des Engels jedoch hat etwas mit Möglichkeit Vermischtes. Also erkennt er bisweilen in Möglichkeit.

ANDERSEITS sagt Augustinus, dass die Engel seit dem Augenblick, da sie erschaffen wurden, sich in der Ewigkeit des WORTES in heiliger und frommer Schau erfreuen. Der schauende Verstand aber ist nicht im möglichen Vollzug, sondern im wirklichen Vollzug. Also ist der Verstand des Engels nicht im möglichen Vollzug.

ANTWORT: Wie der Philosoph sagt, ist der Verstand auf doppelte Weise im möglichen Vollzug; auf die eine Weise ,,wie vor dem Lernen oder Finden", d. h. bevor er das Gehaben des Wissens hat; auf die andere Weise sagt man, er ist im möglichen Vollzug, ,,wie wenn er schon das Gehaben des Wissens hat", aber nicht betrachtet. Auf die erste Weise also ist der Verstand des Engels nie im möglichen Vollzug in bezug auf das, worauf sich seine natürliche Erkenntnis erstreckt. Wie nämlich die höheren Körper, d. h. die Himmelskörper keine Seinsanlage haben, die nicht durch ihre Wirklichkeit erfüllt wäre, so haben die himmlischen Verstandeswesen, d. h. die Engel, keine Erkenntnisanlage, die nicht gänzlich erfüllt wäre durch die ihnen naturgegebenen geistigen Erkenntnisbilder — In Bezug auf das jedoch, was ihnen von Gott her geoffenbart wird, steht nichts im Wege, dass ihr Verstand in Möglichkeit sei, weil auf diese ..Weise auch die Himmelskörper bisweilen in Möglichkeit sind, von der Sonne erleuchtet zu werden.

Auf die zweite Weise jedoch kann der Verstand des Engels in Möglichkeit sein zu dem, was er durch natürliche Erkenntnis erkennt. Denn nicht alles, was er durch natürliche Erkenntnis erkennt, betrachtet er immer im Vollzug. — Zu der Erkenntnis des WORTES aber und dessen, was er im WORTE sieht, ist er auf diese Weise nie in Möglichkeit, weil er immer im Vollzug das WORT anschaut und das, was er im WORTE sieht. Denn in dieser Schau besteht ihre Seligkeit, die Seligkeit aber besteht nicht in einem Gehaben, sondern im Vollzug, wie der Philosoph sagt.

Zu 1. Bewegung wird an jener Stelle nicht genommen, sofern sie die Wirklichkeit eines Unvollkommenen, d. h. in Möglichkeit Befindlichen ist, sondern sofern es die Wirklichkeit eines Vollkommenen ist, d. h. eines im Vollzug Befindlichen. So nämlich heißen Erkennen und Empfinden Bewegung (Aristoteles).

Zu 2. Jenes Verlangen der Engel schließt nicht den Besitz des ersehnten Gegenstandes aus, sondern den Überdruss daran. — Oder es heißt, die Engel sehnen sich nach der Schau Gottes im Hinblick auf neue Offenbarungen, welche sie je nach der Zweckdienlichkeit ihrer Aufgaben von Gott erhalten.

Zu 3. Im Wesen des Engels gibt es keine Anlage, welche der Erfüllung entbehrte. In ähnlicher Weise ist auch der Verstand der Engel nicht so in Möglichkeit, dass er ohne Erkenntnisvollzug wäre.

2. ARTIKEL
Können die Engel vieles zugleich erkennen?

1. Es scheint, dass der Engel nicht vieles auf einmal erkennen kann. Denn der Philosoph sagt: ,,Vieles kann man wissen, aber eines nur erkennen".

2. Nichts wird erkannt, außer der Verstand wird geformt durch ein geistiges Erkenntnisbild, wie der Körper durch eine Gestalt geformt wird . Aber ein (einziger) Körper kann nicht durch verschiedene Gestalten geformt werden. Also kann auch ein (einziger) Verstand nicht zugleich verschiedene Erkenntnisgegenstände erkennen.

3. Erkennen ist eine Art Bewegung. Keine Bewegung aber schließt mit verschiedenen Endpunkten ab. Also kommt es nicht vor, dass man vieles zugleich erkennt.

ANDERSEITS sagt Augustinus: ,,Die geistige Fähigkeit des Engels-Geistgrundes erkennt alles, was er will, aufs leichteste zugleich."

ANTWORT: Wie zur Einheit der Bewegung die Einheit des Endpunktes erfordert ist, so ist zur Einheit der Tätigkeit die Einheit des Gegenstandes erfordert. Es kommt aber vor, dass manches als Mehreres aufgefasst wird und (zugleich)als eines wie die Teile eines Stetigen. Wenn nämlich ein jedes Ding für sich genommen wird, so sind es mehrere; darum werden sie nicht in einer Tätigkeit und nicht zugleich aufgenommen vom Sinn und vom Verstand. Sodann können sie aufgefasst werden, insofern sie eines in einem Ganzen sind, und so werden sie zugleich und in einer einzigen Tätigkeit aufgefasst sowohl durch den Sinn wie durch den Verstand, wenn das ganze Stetige betrachtet wird (Aristoteles. Und so erkennt auch unser Verstand zugleich den Satzgegenstand und die Satzaussage, insofern sie die Teile eines einzigen Satzes sind, und zwei Vergleichsglieder, sofern sie in einem Vergleich übereinkommen. Daraus erhellt, dass viele Dinge, sofern sie unterschieden sind, nicht zugleich erkannt werden können; wohl aber werden sie, insofern sie in einem Erkenntnisgegenstand sich vereinigen, zugleich erkannt.

Ein jedes Ding aber ist im Vollzug verstehbar, sofern seine Ähnlichkeit im Verstande ist. Was immer für Dinge also durch ein einziges Erkenntnisbild erkannt werden können, sie werden erkannt als ein einziger Erkenntnisgegenstand; und darum werden sie zugleich erkannt. Dinge aber, welche durch verschiedene Erkenntnisbilder erkannt werden, werden als verschiedene Erkenntnisgegenstände gefasst.

Die Engel also erkennen in jener Erkenntnis, durch welche sie die Dinge im WORT erkennen, alles in einem einzigen Erkenntnisbilde, welches die göttliche Wesenheit ist. Und darum erkennen sie in bezug auf diese Erkenntnis alles zugleich; wie auch in der Heimat ,,unsere Gedanken nicht unbeständig sprunghaft sein werden, indem sie vom einen zum anderen hin und her gehen, sondern wir werden unser ganzes Wissen zugleich in einem Blick sehen" (Augustinus) — Durch diejenige Erkenntnis aber, durch welche sie die Dinge erkennen vermittels angeborener Erkenntnisbilder, können sie all das zugleich erkennen, was durch ein einziges Erkenntnisbild erkannt wird, nicht aber was durch verschiedene.

Zu 1. Vieles erkennen als Eines heißt gleichsam Eines erkennen.

Zu 2. Der Verstand wird geformt durch das Erkenntnisbild, das er bei sich hat. Und darum kann er durch ein einziges Erkenntnisbild viele Erkenntnisgegenstände zugleich anschauen, wie ein einziger Körper durch eine einzige Gestalt vielen Körpern zugleich angeglichen werden kann.

Zu 3. ist dasselbe zu sagen wie Zu 1.

3. ARTIKEL
Erkennt der Engel in fortschreitender Erkenntnis?

1. Die fortschreitende Erkenntnis des Verstandes wird darin gesehen, dass eines durch das andere erkannt wird. Die Engel aber erkennen eines durch das andere, denn sie erkennen die Geschöpfe durch das WORT. Also erkennt der Verstand des Engels in fortschreitender Erkenntnis.

2. Alles, was die niedere Kraft kann, kann auch die höhere, der menschliche Verstand aber kann Schlüsse bilden und in den Wirkungen die Ursachen erkennen, worin die fortschreitende Erkenntnis gesehen wird. Also kann das der Verstand des Engels, der höher ist als die Ordnung der Natur, um so eher.

3. Isidor sagt, dass die bösen Geister vieles erkennen durch Erfahrung. Die Erfahrungserkenntnis aber ist eine fortschreitende Erkenntnis: ,,Aus vielen Erinnerungen wird eine Erfahrung. Und aus vielen Erfahrungen wird ein Allgemeines" (Aristoteles). Also ist die Erkenntnis der Engel eine fortschreitende Erkenntnis.

ANDERSEITS sagt Dionysius von den Engeln: ,,Sie sammeln die göttliche Erkenntnis nicht aus vielen Gesprächen und sie werden auch nicht von irgendeinem Allgemeinen zu diesen besonderen Erkenntnissen geführt."

ANTWORT: Wie schon öfters gesagt wurde, nehmen die Engel jene Stufe im Bereich der geistigen Selbstandwesen ein, welche die Himmelskörper im Bereich de körperlichen Selbstandwesen einnehmen. Denn sie heißen bei Dionysius ,,himmlische Geistgründe". Zwischen den himmlischen und den irdischen Körpern besteht nun der Unterschied, dass die irdischen Körper durch Veränderung und Bewegung ihre letzte Vollkommenheit erlangen, himmlische Körper aber sofort aus ihrer Natur heraus ihre letzte Vollkommenheit besitzen. So erlangen auch die niederen geistigen Erkenntniskräfte, nämlich die der Menschen, durch eine gewisse Bewegung und durch ein Fortschreiten in der geistigen Tätigkeit die Vollkommenheit in der Erkenntnis der Wahrheit, indem sie nämlich aus dem einen Erkannten zur Erkenntnis des anderen vordringen. Wenn sie aber sofort bei der Erkenntnis eines bekannten Denkgrundsatzes alle daraus sich ergebenden Schlussfolgerungen ebenfalls als bekannte überschauten, so gäbe es bei ihnen keine fortschreitende Erkenntnis. Und das ist bei den Engeln der Fall, weil sie in ihren naturgegebenen Ersterkenntnissen alle darin erkennbaren Gegenstände überschauen.

Und darum heißen sie Verstandeswesen. Denn auch bei uns sagt man, dass das, was von Natur aus sofort erkannt wird, verstanden wird; darum heißt der Verstand das Gehaben der ersten Denkgrundsätze. Die menschlichen Seelen aber, welche die Kenntnis der Wahrheit auf dem Wege eines gewissen Fortschreitens erlangen, heißen Vernunftwesen. — Das kommt von der ,Schwäche des geistigen Lichtes in ihnen. Denn wenn sie die Fülle des geistigen Lichtes hätten wie die Engel, so erfassten sie im ersten Blick auf die obersten Denkgesetze deren ganze Kraft, indem sie sofort überschauten, was immer aus ihnen erschlossen werden könnte.

Zu 1. Die fortschreitende Erkenntnis besagt eine gewisse Bewegung. Jede Bewegung aber geht von einem Früheren aus zu einem anderen, das später ist. Darum wird die fortschreitende Erkenntnis darin gesehen, dass man von einem früher Erkannten zur Erkenntnis eines anderen später Erkannten gelangt, das früher unbekannt war. Wenn aber in einem einzigen Blick zugleich auch das andere mitgesehen wird, wie in einem Spiegel zugleich das Bild des Dinges und das Ding gesehen wird, so ist es deswegen keine fortschreitende Erkenntnis. Und auf diese Weise erkennen die Engel die Dinge im WORT.

Zu 2. Die Engel können Schlüsse bilden, indem gleichsam das Schlussverfahren durchschauen. Und in den Ursachen sehen sie die Wirkungen, und in den Wirkungen die Ursachen; nicht aber so, dass sie die Erkenntnis einer vorher nicht gewussten Wahrheit erwürben indem sie aus den Ursachen auf die verursachten Wirkungen und aus den verursachten Wirkungen auf die Ursachen schließen.

Zu 3. Von Erfahrung spricht man bei Engeln und bösen Geistern nach einer gewissen Ähnlichkeit, sofern sie nämlich die sinnenfälligen Dinge als gegenwärtig erkennen, jedoch ohne jedes Fortschreiten.

4. ARTIKEL
Erkennen die Engel durch Verbinden und Trennen?

1. Wo es eine Vielheit von begriffenen Dingen gibt, dort gibt es Verbindung der Begriffe (Aristoteles)~ Im Verstand des Engels aber gibt es eine Vielheit von begriffenen Dingen, da er die verschiedenen Dinge durch verschiedene Bilder erkennt und nicht alles zugleich. Also gibt es im Verstand des Engels Verbindung und Trennung.

2. Die Verneinung ist von der Bejahung mehr entfernt als irgend zwei einander entgegengesetzte Naturen, denn die erste Unterscheidung geschieht durch die Bejahung und Verneinung. Manche voneinander entfernte Naturen aber erkennt der Engel nicht durch eines, sondern durch verschiedene Erkenntnisbilder (Art. 2). Also gibt es die Bejahung und Verneinung durch Verschiedenes erkennen. Und so scheint es, dass der Engel durch Verbinden und Trennen erkennt.

3. Sprechen ist ein Zeichen des Verstandes. Die Engel aber, welche zu Menschen sprechen, geben bejahende und verneinende Aussagen kund (welche Zeichen der Verbindung und Trennung im Verstande sind), wie aus vielen Stellen der Hl. Schrift hervorgeht. Also scheint , dass der Engel durch verbinden und Trennen erkennt. ANDERSEITS sagt Dionysius, ,,die Erkenntniskraft der Engel strahlt wider von der durchsichtigen Einfachheit der göttlichen Erkenntnisse". Die einfache Einsicht aber ist ohne Verbindung und Trennung (Aristoteles). Also erkennt der Engel ohne Verbindung und Trennung.

ANTWORT: Wie im schlussfolgernden Verstande die Schlussfolgerung mit dem Ursatz in Beziehung gesetzt wird, so wird im verbindenden und trennenden Verstande die Satzaussage mit dem Satzgegenstand in Beziehung gesetzt. Wenn nämlich der Verstand sofort im Ursatze selbst die Wahrheit der Schlussfolgerung erkennte, erkennte er nie durch Fortschreiten oder Schlussfolgern. Desgleichen wenn der Verstand sofort bei der Erfassung der Washeit des Satzgegenstandes Kenntnis hätte von allem, was dem Satzgegenstand zugeschrieben oder abgesprochen werden kann, so erkännte er nie durch Verbinden und Trennen, sondern durch das bloße Erkennen des Wasseins.

So ist es denn klar, dass es aus derselben Wurzel stammt, wenn unser Verstand durch Fortschreiten erkennt und durch Verbinden und Trennen, daraus nämlich, dass er nicht sofort bei der ersten Erfassung ein Ersterfasstes einsehen kann, was alles in ihm der Kraft nach enthalten ist. Das kommt von der Schwäche des geistigen Lichtes in uns (Art. 3). Weil also im Engel ein vollkommenes geistiges Licht ist, da er ein ,,reiner und klarster Spiegel" ist (Dionysius), so ergibt sich, dass der Engel, ebenso wie er nicht durch Schlussfolgern erkennt, auch nicht durch Verbinden und Trennen erkennt.

Nichtsdestoweniger erkennt er die Verbindung und Trennung von Aussagen wie auch die Schlussfolgerung in den Beweisgefügen; er erkennt nämlich das Verbundene auf einfache, das Bewegliche auf unbewegliche; das Stoffliche auf unstoffliche Weise.

Zu 1. Nicht jede beliebige Vielheit von begriffenen Dingen verursacht eine Verbindung, sondern die Vielheit jener begriffenen Dinge, deren eine einer anderen zugeschrieben oder abgesprochen wird. Der Engel aber erkennt ihr Erkennen der Washeit eines Dinges zugleich, was immer ihm zugeschrieben oder abgesprochen werden kann. Darum erkennt er, wenn er das Was-seiende erkennt, was immer wir erkennen können sowohl im verbinden wie im Trennen, durch seine eine einfache Erkenntnis.

Zu 2. Verschiedene Washeiten der Dinge unterscheiden sich unter dem Gesichtspunkt des Daseins weniger, als Bejahung und Verneinung sich unterscheiden. Doch kommen Bejahung und Verneinung unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis mehr überein, weil dadurch, dass die Wahrheit der Bejahung erkannt wird, sofort die Falschheit er entgegengesetzten Verneinung erkannt wird.

Zu 3. Der Umstand, dass die Engel bejahende und verneinende Aussagen kundgeben, offenbart, dass die Engel Verbindung und Trennung erkennen, aber nicht, dass sie durch (=mittels) Verbinden oder Trennen erkennen, sondern lediglich durch Erkennen des Was-seins.

5. ARTIKEL
Kann im Verstand des Engels Falschheit sein?

1. Die Verkehrtheit gehört zur Falschheit. Bei den bösen Geistern aber gibt es eine ,,verkehrte Einbildungskraft" (Dionysius). Also scheint es, dass es im Verstand der Engel Falschheit geben könne.

2. Das Nichtwissen ist die Ursache einer falschen Bewertung. In den Engeln aber kann es Nichtwissen geben (Dionysius). Also scheint es, dass es bei ihnen Falschheit geben könne.

3. Alles, was von der Wahrheit der Weisheit abfällt und eine verderbte Vernunft hat, hat Falschheit oder Irrtum in seinem Verstande. Das aber sagt Dionysius von den bösen Geistern aus. Also scheint es, dass es im Verstand der Engel Falschheit geben könne.

ANDERSEITS sagt der Philosoph, dass ,,der Verstand immer wahr ist". Auch Augustinus sagt, dass ,,nichts erkannt wird außer das Wahre". Die Engel aber erkennen etwas nur durch Verstehen. Also kann es in der Erkenntnis des Engels keine Täuschung und Falschheit geben.

ANTWORT: Die Wahrheit dieser Frage hängt in etwa von der vorausgehenden Frage ab. Es ist nämlich ausgeführt worden (Art. 1), dass der Engel nicht durch Verbinden oder Trennen erkennt, sondern durch Erkennen des Was-seins. Der Verstand aber ist bezüglich des Was-seins immer wahr, wie auch der Sinn bezüglich seines eigenen Gegenstandes (Aristoteles). Doch kann es bei uns beiläufig zutreffen, dass Täuschung und Falschheit in unserer Erkenntnis des Was-seienden sich findet, nämlich auf Grund einer gewissen Verbindung, wenn wir entweder die Begriffsbestimmung des einen Dinges als Begriffsbestimmung eines anderen auffassen, oder wenn die Teile einer Begriffsbestimmung unter sich nicht zusammenhängen; wie wenn man z. B. als Begriffsbestimmung eines Dinges annehmen würde: ,,ein vierfüßigiges, geflügeltes Sinnenwesen", denn kein Sinnenwesen ist solcher Art. Und das kommt vor bei zusammengesetzten Dingen, deren Begriffsbestimmung aus verschiedenen Teilen genommen wird, wovon der eine dem anderen gegenüber die Rolle des Stoffes hat. Doch im Erkennen der einfachen Washeiten gibt es keine Falschheit (Aristoteles), denn sie werden entweder überhaupt nicht erfasst, und so verstehen wir nichts von ihnen, oder sie werden erkannt, wie sie sind.

So also kann an sich Falschheit oder Irrtum oder Täuschung im Verstand eines Engels nicht sein, sondern das kommt bei ihnen nur beiläufig vor; auf andere Weise jedoch als bei uns. Denn wir gelangen bisweilen durch Verbinden und Trennen zum Begriff der Washeit, z. B. wenn wir durch Trennen oder Beweisen die Begriffsbestimmung erforschen. Das ist bei den Engeln nicht der Fall, sondern sie erkennen durch das Was-sein des Dinges alle Aussagen, die sich auf jenes Ding beziehen. — Es ist nun offenbar, dass die Wesenheit eines Dinges Erkenntnisgrund sein kann bezüglich dessen, was von Natur aus einem Ding zukommt oder ihm abgesprochen wird; nicht aber bezüglich dessen, was von der übernatürlichen Anordnung Gottes abhängt. Die guten Engel also, welche einen rechten Willen haben, urteilen in der Erkenntnis der Washeit des Dinges über das, was im natür1ichen Bereich zum Ding gehört, nur unter Berücksichtigung der göttlichen Weltordnung. Darum kann in ihnen Falschheit oder Irrtum nicht sein. Die bösen Geister aber, welche durch ihren verkehrten Willen den Verstand der göttlichen Weisheit entziehen, urteilen bisweilen schlechthin über die Dinge auf Grund der natürlichen Ordnung. Und in dem, was von Natur aus zur Sache gehört, täuschen sie sich nicht. Sie können sich aber täuschen in Bezug auf das, was übernatürlich ist, z. B. wenn einer, der einen toten Menschen betrachtet, urteilt, er werde nicht auferstehen, oder wenn einer, der den Menschen Christus sieht, urteilt, Er sei nicht Gott.

Und daraus erhellt die Antwort auf das, was von beiden Seiten eingewandt wird. Denn die Verkehrtheit der bösen Geister ist gegeben, sofern sie nicht der göttlichen Weisheit unterworfen sind. — Das Nichtwissen aber ist in den Engeln nicht in Bezug auf das natürliche Erkennbare, sondern in Bezug auf das übernatürliche. — Es ist auch offensichtlich, dass der Begriff der Washeit immer wahr ist, außer im beiläufigen Fall, insofern er unrichtig hingeordnet wird bei einer Verbindung oder Trennung.

6. ARTIKEL
Gibt es in den Engeln Schau im Morgenlicht und Schau im Abendlicht?

1. Morgen und Abend haben eine Beimischung von Dunkelheit. In der Erkenntnis des Engels aber gibt es keine Dunkelheit, weil da kein Irrtum und keine Falschheit ist. Also darf die Erkenntnis des Engels nicht Schau im Morgenlicht oder Abendlicht heißen.

2. Zwischen Abend und Morgen fällt die Nacht, und zwischen Morgen und Abend fällt der Mittag. Wenn es also in den Engeln eine Schau im Morgen- und Abendlicht gibt, so scheint es aus den gleichen Gründen auch eine mittägliche und eine nächtliche Erkenntnis geben zu müssen.

3. Die Erkenntnis unterscheidet sich nach dem Unterschied der Erkenntnisgegenstände; darum sagt der Philosoph, dass die Wissenschaften eingeteilt werden wie auch die Dinge. Es gibt aber ein dreifaches Sein der Dinge: im WORT, in der eigenen Natur und im englischen Verstand (Augustinus). Also, wenn man in den Engeln eine Schau im Morgen- und Abendlicht annimmt, wegen des Seins der Dinge im WORT und in der eigenen Natur, so muss auch eine dritte Erkenntnis in ihnen angenommen werden wegen des Seins der Dinge im englischen Verstande.

ANDERSEITS unterscheidet Augustinus die Erkenntnis der Engel nach der Schau im Morgen- und Abend licht.

ANTWORT: Was von der Schau im Morgenlicht und Abendlicht bei den Engeln gesagt wird, ist von Augustinus eingeführt worden, der will, dass unter den sechs Tagen, in denen Gott alles geschaffen hat (wie man im Schöpfungsberichte liest), nicht die gewöhnlichen Tage verstanden werden, welche mit dem Kreisgang der Sonne ablaufen (da man liest, dass die Sonne am vierten Tag geschaffen wurde), sondern ein einziger Tag, d. h. die englische Erkenntnis, welche durch sechs Gattungen der Dinge dargestellt wird. Wie aber bei den gewohnten Tagen der Morgen Ursprung des Tages ist und der Abend sein Abschluss, so heißt die Erkenntnis des ursprünglichen Seins der Dinge "Schau im Morgenlicht", und diese ist gegeben, sofern die Dinge im WORT sind. Die Erkenntnis des Seins selbst des geschaffenen Dinges aber, insofern es in der eigenen Natur Bestand hat, heißt "Schau im Abendlicht", denn das Sein der Dinge fließt vom WORT wie von einem ursprünglichen Grunde her und dieser Ausfluss findet seinen Abschluss bei dem Sein der Dinge, das sie in der eigenen Natur haben.

Zu 1. Abend und Morgen werden bei der Erkenntnis des Engels nicht aufgefasst nach der Ähnlichkeit mit der Beimischung der Dunkelheit, sondern nach der Ähnlichkeit mit Anfang und Ende. — Oder man kann sagen, dass nichts im Wege steht, wie Augustinus bemerkt, dass etwas im Vergleich zum einen Licht und im Vergleich zum anderen Dunkelheit heiße. So heißt das Leben der Gläubigen und Gerechten im Vergleich zu dem der Gottlosen Licht; Eph 5,8: ,,Ihr wart einst Finsternis, nun aber seid ihr Licht im Herrn." Und doch heißt dieses Leben der Gläubigen im Vergleich zum Leben der Herrlichkeit dunkel; 2 Petr 1,19; ,,Ihr habt das Wort der Propheten, woran festzuhalten ihr gut tut, wie an einem Licht, das in einem dunklen Orte leuchtet. So ist also die Erkenntnis des Engels, wodurch er die Dinge in der eigenen Natur erkennt, Tag im Vergleich zur Unwissenheit oder zum Irrtum, aber sie ist dunkel im Vergleich zur Schau des WORTES.

Zu 2. Die Schau im Morgen- und Abendlicht gehört ,,zum Tage", d. h. zu den erleuchteten Engeln, die von ,,der Finsternis" unterschieden sind, d. h. von den schlechten Engeln. Die guten Engel aber bleiben beim Erkennen der Geschöpfe nicht stehen — das hieße sich verfinstern und Nacht werden —, sondern beziehen dieses selbst auf das Lob Gottes, in welchem sie als im Urgrund alles erkennen. Und darum wird nach dem Abend nicht die Nacht, sondern der Morgen angenommen; so dass der Morgen das Ende des vorhergehenden Tages und der Anfang des folgenden ist, insofern die Engel die Erkenntnis des vorhergehenden Werkes auf das Lob Gottes beziehen. Der Mittag aber ist unter dem Namen des Tages inbegriffen als Mitte zwischen zwei Polen. Oder Mittag kann bezogen werden auf die Erkenntnis Gottes selbst, die weder Anfang noch Ende hat.

Zu 3. Auch die Engel selbst sind Geschöpfe. Darum ist das Sein der Dinge im englischen Verstande einbegriffen unter der Schau im Abendlicht, wie auch das Sein der Dinge in der eigenen Natur.

7. ARTIKEL
Ist die Schau im Morgenlicht und Abendlicht ein und dieselbe?

1. Es heißt im Buch der Schöpfung: ,,Es ward Abend und Morgen, der erste Tag." Unter ,,Tag" aber wird die englische Erkenntnis verstanden (Augustinus). Also ist die Schau im Morgenlicht und Abendlicht bei den Engeln ein und dieselbe.

2. Es ist unmöglich, dass ein einziges Vermögen zugleich zwei Tätigkeiten ausübt. Die Engel aber befinden sich immer im Vollzug der Schau im Morgenlicht, denn sie sehen immer Gott und die Dinge in Gott; Mt 18, 10: ,,Ihre Engel sehen immerzu das Antlitz Meines Vaters." Also: wenn die abendliche Erkenntnis eine andere wäre wie die morgendliche, so könnte kein Engel sich im Vollzug der abendlichen Erkenntnis befinden.

3. Der Apostel sagt 1 Kor 13,10: ,,Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk abgetan werden." Wenn aber die abendliche Erkenntnis eine ändere wäre als die morgendliche, so würde sie mit ihr verglichen wie das Unvollkommene zum Vollkommenen. Also wird die abendliche Erkenntnis nicht zugleich mit der morgendlichen sein können.

ANDERSEITS sagt Augustinus: ,,Ein großer Unterschied liegt zwischen der Erkenntnis irgendeines Dinges im WORTE Gottes, und der Erkenntnis desselben in seiner Natur, so dass jenes mit Recht zum Tag, dieses zum Abend gehört."

ANTWORT: Wie schon gesagt (Art. 6), heißt Schau im Abendlicht diejenige Erkenntnis, durch welche die Engel die Dinge in deren eigener Natur erkennen. Das kann, weil die Engel keine Erkenntnis von den Dingen empfangen (55, 2), nicht so verstanden werden, als würden sie Erkenntnis aus der den Dingen eigenen Natur empfangen, so dass dieses Verhältniswort ,in‘ ein Ursprungsverhältnis anzeigt. Es bleibt also nur übrig, dass der Ausdruck ,in deren eigener Natur‘ aufgefasst wird auf Grund des Erkannten, insofern es der Erkenntnis unterliegt, so dass von abendlicher Erkenntnis bei den Engeln gesprochen würde, insofern sie das Sein der Dinge erkennen, welches die Dinge in ihrer eigenen Natur haben.

Dieses erkennen sie durch ein doppeltes Mittel, durch angeborene Erkenntnisbilder und durch die Wesensgründe der Dinge, die im WORT sind, Denn indem sie das WORT schauen, erkennen sie nicht allein jenes Sein der Dinge, das diese im WORT haben, sondern auch jenes Sein, das sie in der eigenen Natur haben, wie Gott dadurch, dass Er sich sieht, das Sein der Dinge erkennt, das diese in der eigenen Natur haben. – Wenn also von abendlicher Erkenntnis gesprochen wird, sofern die Engel in der Schau den WORTES das Sein der Dinge erkennen, das diese in der eigenen Natur haben, so ist dem Wesen nach die Schau im Abend- und Morgenlicht ein und dieselbe und unterscheidet sich bloß nach dem Erkannten. – Wenn man aber von Schau im Abendlicht spricht, sofern die Engel das Sein der Dinge, das diese in der eigenen Natur haben, durch angeborene Formen erkennen, so ist die Schau im Abendlicht eine andere als die im Morgenlicht. Und so scheint Augustinus das zu verstehen, da er die eine für unvollkommen hält im Vergleich mit der anderen.

Zu 1. ist also zu sagen, dass, so wie die Zahl der sechs Tage nach dem Verständnis des hl. Augustinus aufgefasst wird entsprechend den sechs Gattungen von Dingen, welche von den Engeln erkannt werden, so auch die Einheit des Tages entsprechend der Einheit des erkannten Dinges, welches jedoch in verschiedenen Erkenntnisakten erkannt werden kann.

Zu 2. Zwei Tätigkeiten, deren eine auf die andere bezogen wird, können zugleich einem einzigen Vermögen entstammen, wie daraus erhellt, dass der Wille zugleich sowohl das Ziel will als auch die Mittel zum Ziel, und der Verstand zugleich sowohl die Ursätze wie auch die Schlussfolgerungen auf Grund der Ursätze erkennt, wenn er einmal Wissen erworben hat. Die Schau im Abendlicht bei den Engeln wird aber auf die Schau im Morgenlicht bezogen, wie Augustinus sagt. Darum steht nichts im Wege, dass in den Engeln beide zugleich sind.

Zu 3. Wenn das Vollkommene eintritt, wird abgetan das Unvollkommene, das ihm entgegengesetzt ist, wie der Glaube, der auf das geht, was nicht gesehen wird, abgetan wird, wenn die Schau eintritt. Die Unvollkommenheit der Schau im Abendlicht aber ist nicht der Vollkommenheit der Schau im Morgenlicht entgegengesetzt. Denn dass etwas erkannt wird in sich selbst, steht dem nicht entgegen, dass es erkannt wird in seiner Ursache. Noch auch birgt der Umstand, dass etwas erkannt wird durch zwei Erkenntnismittel, wovon das eine vollkommener, das andere unvollkommener ist, einen Widerspruch in sich, wie wir zur selben Schussfolgerung sowohl ein Beweismittel wie auch ein dialektisches Mittel haben können. Und ähnlich kann dasselbe Ding vom Engel gewusst werden durch das ungeschaffene WORT und durch ein angeborenes Erkenntnisbild.

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59. FRAGE

VOM WILLEN DER ENGEL

Hierauf ist zu betrachten, was zum Willen der Engel gehört. Und zuerst werden wir den Willen selbst betrachten, hierauf seine Bewegung, welche Liebe oder Zuneigung ist.

Zum ersten ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Gibt es in den Engeln einen Willen?
2. Ist der Wille der Engel ihre Natur selbst oder auch ihr Verstand?
3. Ist in den Engeln freies Wahlvermögen?
4. Ist in ihnen Überwindungs- und Begierdekraft?

1. ARTIKEL
Gibt es in den Engeln Willen?

1. Der Philosoph sagt: ,,Der Wille ist in der Vernunft." den Engeln aber gibt es keine Vernunft, sondern etwas Höheres als Vernunft. Also gibt es in den Engeln keinen Willen, sondern etwas Höheres als den Willen.

2. Der Wille ist im Strebevermögen enthalten (Aristoteles). Das Strebevermögen aber gehört dem Unvollkommenen zu; es geht nämlich auf das, was man noch nicht hat. Da also in den Engeln, besonders in den seligen Engeln, keinerlei Unvollkommenheit ist, scheint es, dass es in ihnen keinen Willen gibt.

3. Der Philosoph sagt, der Wille ist ein bewegendes Bewegtes, denn er wird von dem erkannten,. erstrebenswerten Gut bewegt. Die Engel aber sind unbeweglich, da sie unkörperlich sind. Also gibt es in den Engeln keinen Willen.

ANDERSEITS sagt Augustinus: Das Bild der Dreifaltigkeit findet sich im Geistgrund nach Gedächtnis, Verstand und Willen. Das Bild Gottes aber findet sich nicht nur im menschlichen Seelengrund, sondern auch im Geistgrund des Engels, denn auch der Geistgrund des Engels ist Gottes fähig. Also gibt es in den Engeln einen Willen.

ANTWORT: Man muss notwendig in den Engeln Willen ansetzen. Zu dessen Einsicht ist zu bedenken, dass, weil alles aus dem göttlichen Willen hervorgeht, ein jedes Ding auf seine Art durch das Strebevermögen zum Guten hingeneigt wird, aber auf verschiedene Weise. Denn manche Wesen werden zum Guten hingelenkt durch ein nur naturhaftes Verhalten ohne Erkenntnis wie die Pflanzen und die unbelebten Körper. Und eine solche Hinneigung zum Guten heißt naturhaftes Strebevermögen. — Andere Wesen wieder werden zum Guten hingeneigt mit einiger Erkenntnis, nicht so freilich, dass sie den Charakter des Guten erkennten, sondern sie erkennen irgendein Sondergut, wie der Sinn, welcher das Süße und Weiße und derartiges erkennt. Und die Hinneigung, welche dieser Erkenntnis folgt, heißt sinnliches Strebevermögen. — Manche Wesen aber werden zum Guten hingeneigt mit der Erkenntnis, in der sie den Charakter des Guten erkennen, und das ist das Eigentümliche des Verstandes Und diese Wesen werden auf vollkommenste Weise zum Guten geneigt, und zwar nicht gleichsam nur von einem anderen auf das Gute hingelenkt, wie die Wesen, welche der Erkenntnis entbehren, noch auf ein Sondergut nur, wie die Wesen, in welchen bloß Sinneserkenntnis ist, sondern sie werden gleichsam hingeneigt auf das allgemeine Gute selbst. Und diese Hinneigung heißt Wille. — Da also die Engel durch den Verstand den allgemeinen Charakter des Guten erkennen, ist offenbar, dass in ihnen Wille ist.

Zu 1. Auf andere Weise übersteigt die Vernunft den Sinn und auf andere Weise der Verstand die Vernunft. Die Vernunft nämlich übersteigt den Sinn gemäß der Verschiedenheit des Erkannten. Denn der Sinn geht auf das Besondere, die Vernunft auf das Allgemeine. Und darum ist es nötig, dass es ein (einziges) Strebevermögen gebe, welches auf das allgemeine Gute zielt, und das gehört der Vernunft zu; und ein anderes, das auf ein Sondergut zielt, und das gehört dem Sinn zu. — Der Verstand aber und die Vernunft unterscheiden sich in Bezug auf die Erkenntnisweise, denn der Verstand erkennt im einfachen Blick, die Vernunft aber im Fortschreiten von einem zum anderen. Doch gelangt die Vernunft im Fortschreiten zur Erkenntnis dessen, was der Verstand ohne Fortschreiten erkennt, nämlich des Allgemeinen. Also ist der Gegenstand, welcher dem Strebevermögen sowohl von Seiten der Vernunft als auch von Seiten des Verstandes dargeboten wird, derselbe. Darum gibt es bei den Engeln, welche ausschließlich verstandliche Wesen sind, kein Strebevermögen, das höher ist als der Wille.

Zu 2. Wenn auch der Name des ,,strebenden Teiles" genommen ist vom Streben nach dem, was man nicht hat, so erstreckt sich doch der ,,strebende Teil" nicht allein auf dieses, sondern auch auf vieles andere. Wie auch der Name lapis genommen ist von laesio pedis (Lat. = Verletzung des Fußes), obwohl doch dem Stein nicht allein dies [die Verletzung des Fußes] zukommt. In ähnlicher Weise wird die Zorneskraft vom Zorn benannt, obwohl doch mehrere Leidenschaften in ihr enthalten sind, wie die Hoffnung, die Kühnheit u. dgl..

Zu 3. Der Wille heißt bewegtes Bewegendes, sofern das Wollen eine Art Bewegung ist wie das Erkennen. Nichts steht im Wege, dass eine solche Bewegung in den Engeln ist, weil eine solche Bewegung die Wirklichkeit eines Vollkommenen ist (Aristoteles)

2. ARTIKEL
Unterscheidet sich in den Engeln der Wille von Verstand und Natur?

1. Der Engel ist einfacher als ein Naturkörper. Der Naturkörper aber wird durch seine Form auf sein Ziel hingeneigt, welches sein Gut ist. Also um so mehr der Engel. Die Form des Engels ist nun sowohl die Natur selbst, in der er gegründet ist, als auch das Erkenntnisbild, das in seinem Verstande ist. Also wird der Engel zum Guten hingeneigt durch seine Natur und durch das Erkenntnisbild. Diese Hinneigung zum Guten aber ist Sache des Willens. Also ist der Wille des Engels nichts anderes als seine Natur oder sein Verstand.

2. Gegenstand des Verstandes ist das Wahre, des Willens das Gute. Das Gute aber und das Wahre unterscheiden sich nicht in Wirklichkeit, sondern nur im Verstande. Also unterscheiden sich Wille und Verstand nicht in Wirklichkeit.

3. Die Unterscheidung des Gemeinsamen und des Eigentümlichen macht die Vermögen nicht verschieden, denn ein und dasselbe Vermögen sieht die Farbe und das Weiße. Das Gute aber und das Wahre scheinen sich zu verhalten wie das Gemeinsame und das Eigentümliche, denn das Wahre ist eine Art Gut, nämlich des Verstandes. Also unterscheidet sich der Wille, dessen Gegenstand das Gute ist, nicht vom Verstande, dessen Gegenstand das Wahre ist.

ANDERSEITS: Der Wille geht in den Engeln nur auf Gutes. Der Verstand aber geht auf das Gute und das Schlechte, denn sie erkennen beides. Also ist der Wille in den Engeln etwas anderes als ihr Verstand.

ANTWORT: Der Wille ist in den Engeln eine Art Kraft oder Vermögen, welches weder deren Natur selbst noch deren Verstand ist. Dass er nicht deren Natur ist, geht daraus hervor, dass die Natur oder die Wesenheit eines Dinges innerhalb des Dinges selbst beschlossen ist. Alles also, was immer sich auf das erstreckt, was außerhalb des Dinges ist, ist nicht die Wesenheit des Dinges. Daher sehen wir bei den Naturkörpern, dass die Hinneigung, welche auf das Sein des Dinges geht, nicht durch ein zur Wesenheit Zusätzliches statthat, sondern durch den Stoff, welcher das Sein anstrebt, bevor er es hat, und durch die Form, welche das Ding im Sein bewahrt, nachdem es begonnen hat. Die Hinneigung aber zu etwas Äußerem hat statt durch ein zur Wesenheit Zusätzliches, wie die Hinneigung zum [eigenen ] Ort statthat durch Schwere oder Leichte; die Hinneigung aber, etwas sich Ähnliches zu schaffen, hat statt durch wirkmächtige Beschaffenheiten. — Der Wille nun hat eine Hinneigung zum Guten von Natur aus. Darum ist dort allein Wesenheit und Wille dasselbe, wo das Gute gänzlich in der Wesenheit des Wollenden enthalten ist, nämlich in Gott, der nichts will außerhalb Seiner selbst, es sei denn auf Grund Seiner Güte. Das kann von keinem Geschöpf gesagt werden, da das unendliche Gut außerhalb der Wesenheit eines jeden Geschaffenen liegt. Darum kann weder der Wille des Engels noch der irgendeines anderen Geschöpfes dasselbe sein wie dessen Wesenheit.

Desgleichen kann er auch nicht dasselbe sein wie der Verstand des Engels oder Menschen. Denn Erkenntnis wird dadurch, dass das Erkannte im Erkennenden ist. Darum erstreckt sich dessen Verstand soweit auf das, was außerhalb seiner ist, als jenes, was der Wesenheit nach außer ihm ist, darauf angelegt ist, irgendwie in ihm zu sein. Der Wille aber erstreckt sich auf das, was außer ihm ist, sofern er in einer gewissen Hinneigung irgendwie auf das äußere Ding hinstrebt. Eine andere Kraft aber ist es, welche etwas in sich hat, was außer ihr liegt, und [eine andere Kraft,] welche selbst zum äußeren Ding hinstrebt. Und darum muss in jedem Geschöpf etwas anderes der Verstand und [etwas anderes] der Wille sein. — Nicht aber in Gott, welcher sowohl das allumfassende Sein wie auch das allumfassende Gute in sich selbst hat. Darum ist sowohl Wille wie Verstand Seine Wesenheit.

Zu 1. Der Naturkörper wird durch seine Wesensform zu seinem Sein hingeneigt, zu etwas Äußerem aber wird er durch etwas Zusätzliches hingeneigt (Antwort).

Zu 2. Die Seelenvermögen unterscheiden sich nicht auf Grund der stoffbestimmten Verschiedenheit der Gegenstände, sondern auf Grund der formbestimmten Verschiedenheit, welche entsprechend der Gegenständlichkeit ins Auge gefasst wird. Und darum reicht die Verschiedenheit im Begriff des Guten und Wahren aus zur Verschiedenheit des Verstandes und Willens.

Zu 3. Weil sich das Gute und das Wahre der Sache nach vertauschen lassen, darum wird auch das Gute vom Verstande erkannt unter dem Gesichtspunkt des Wahren, und das Wahre wird vom Willen erstrebt unter dem Gesichtspunkt des Guten. Trotzdem genügt die Verschiedenheit der Gesichtspunkte zur Unterscheidung der Vermögen (Zu 2).

3. ARTIKEL
Ist in den Engeln freies Wahlvermögen?

1. Der Vollzug des freien Wahlvermögens besteht im Wählen. Wahl aber kann es bei den Engeln nicht geben, da die Wahl ,,das Streben nach dem Vorherberatenen ist"; das Zu-Rate-gehen aber ist eine Art Untersuchung (Aristoteles); die Engel indessen erkennen nicht durch Untersuchen, weil das zum Hin und Her der Vernunft gehört. Also scheint es, dass in den Engeln kein freies Wahlvermögen ist.

2. Das freie Wahlvermögen steht nach zwei Möglichkeiten offen. Von Seiten des Verstandes aber ist in den Engeln nichts da, was nach zwei Möglichkeiten offen ist, weil ihr Verstand nicht getäuscht wird in den natürlichen Erkenntnisgegenständen (58, 5). Also kann auch nicht von Seiten des Strebevermögens freies Wahlvermögen in ihnen sein.

3. Was in den Engeln naturgegeben ist, kommt ihnen zu auf Grund des Verhältnisses von Mehr oder Minder, weil in den höheren Engeln die geistige Natur vollkommener ist als in den niederen. Das freie Wahlvermögen aber verträgt kein Mehr oder Minder, also ist in den Engeln kein freies Wahlvermögen.

ANDERSEITS: Die Freiheit des Wahlvermögens gehört zur Würde des Menschen. Die Engel aber sind würdiger als die Menschen. Also ist die Freiheit des Wahlvermögens, weil sie in den Menschen ist, um so mehr in den Engeln.

ANTWORT: Es gibt Wesen, welche nicht aus irgendeinem Wahlvermögen heraus handeln, sondern gleichsam von anderen getrieben und bewegt sind, wie der Pfeil vom Schützen zum Ziel gesandt wird. Andere Wesen aber handeln aus einem gewissen Wahlvermögen heraus, doch nicht aus freiem, wie die nicht-vernünftigen Sinnenwesen; denn das Schaf flieht den Wolf aus einer Art Urteil heraus, demzufolge es ihn für sich für schädlich hält, doch ist dieses Urteil für das Schaf nicht frei, sondern von der Natur eingegeben. Doch nur das, was Verstand hat, kann aus freiem Urteil handeln, insofern es den allgemeinen Charakter des Guten erkennt, woraus es urteilen kann, dieses oder jenes ist gut. Darum ist überall da, wo Verstand ist, freies Wahlvermögen. Und so ist klar, dass das freie Wahlvermögen in den Engeln noch hervorragender ist als in den Menschen, wie auch der Verstand.;

Zu 1. Der Philosoph spricht von der Wahl, sofern sie dem Menschen eigen ist. Wie aber das Schätzungsvermögen des Menschen im Bereich des betrachtenden Wissens darin unterschieden ist von dem Schätzungsvermögen des Engels, dass das eine ohne Untersuchung statthat, das andere aber vermittels einer Untersuchung, so auch im Wirkbereich. Darum gibt es bei den Engeln Wahl, nicht zwar in der untersuchenden Erwägung des Zu-Rategehens, sondern in der sofortigen Annahme der Wahrheit.

Zu 2. Erkenntnis wird dadurch, dass das Erkannte im Erkennenden ist (Art. 2; 12, 4). Es gehört aber zur Unvollkommenheit eines Dinges, wenn das nicht in ihm ist, was darauf angelegt ist, in ihm zu sein. Darum wäre der Engel nicht vollkommen in seiner Natur, wenn sein Verstand nicht zu aller Wahrheit bestimmt wäre, die er natürlich erkennen kann. — Der Akt des Strebens aber erfolgt dadurch, dass das Verlangen zu einer äußeren Sache hingeneigt wird. Die Vollkommenheit eines Dinges hängt aber nicht von jedem Ding ab, wozu es hingeneigt wird, sondern bloß von einem höheren. Und darum bedeutet es keine Unvollkommenheit des Engels, wenn er den Willen nicht bestimmen lässt durch das, was unter ihm ist. Es würde aber eine Unvollkommenheit bedeuten, wenn er sich unbestimmt verhalten würde zu dem, was über ihm ist.

Zu 3. Das freie Wahlvermögen ist in edlerer Weise in den höheren Engeln als in den niedereren, wie auch das Urteil des Verstandes. Doch ist es wahr, dass die Freiheit selbst, insofern in ihr ein gewisses Freisein vom Zwang betrachtet wird, kein Mehr oder Minder verträgt, weil Beraubungen und Verneinungen weder vermindert noch gesteigert werden an sich, sondern bloß durch ihre Ursache oder auf Grund irgendeiner damit verbundenen Bejahung .

4. ART IKEL
Ist in den Engeln Überwindungs- und Begierdekraft?

1. Dionysius sagt, dass in den bösen Geistern unvernünftige Wut und wahnsinnige Begierde sei. Die bösen Geister aber sind derselben Natur wie die Engel, denn die Sünde hat in ihnen die Natur nicht geändert. Also gibt es in den Engeln Überwindungs- und Begierdekraft.

2. Liebe und Freude sind in der Begierdekraft; Zorn jedoch, Hoffnung und Furcht sind in der Überwindungskraft. Diese Eigenschaften aber werden den guten u bösen Engeln zugeschrieben in der Hl. Schrift. Also gibt es in den Engeln Überwindungs- und Begierdekraft.

3. Von gewissen Tugenden sagt man, sie liegen in der Überwindungs- und Begierdekraft; so scheinen Minne und Mäßigkeit in der Begierdekraft zu liegen; Hoffnung aber und Tapferkeit in der Überwindungskraft. Diese Tugenden aber sind in den Engeln. Also gibt es in den Engeln Überwindungs- und Begierdekraft.

ANDERSEITS sagt der Philosoph, dass die Überwindungs- und Begierdekraft im sinnlichen Teile liegen; und dieser fehlt in den Engeln. Also gibt es in ihnen keine Überwindungs- und Begierdekraft.

ANTWORT: Das verständige Strebevermögen wird nicht eingeteilt in Überwindungs- und Begierdekraft, sondern bloß das sinnliche Strebevermögen. Der Grund dafür ist folgender: Da die Vermögen nicht nach der stoffbestimmten Unterscheidung der Gegenstände, sondern allein nach dem formbestimmten Charakter des Gegenstandes unterschieden werden, so wird es, wenn irgendeinem Vermögen irgendein Gegenstand gemäß seinem allgemeinen Charakter entspricht, keine Unterscheidung der Vermögen geben auf Grund der Verschiedenheit der Eigenmerkmale, welche in jenem Gemeinsamen enthalten sind. Z. B. wenn der eigentümliche Gegenstand des Sehvermögens die Farbe in ihrer Eigenart als Farbe ist, so werden nicht mehrere Sehvermögen unterschieden nach dem Unterschiede von Weiß und Schwarz; wenn aber der Gegenstand irgendeines Vermögens das Weiße als Weißes wäre, so würde das Sehvermögen für das Weiße unterschieden werden vom Sehvermögen für das Schwarze.

Es ist aber aus dem Gesagten (Art. 1) offenbar, dass der Gegenstand des verständigen, welches Wille heißt, das Gute ist gemäß dem allgemeinen Charakter des Guten, und es kann kein Strebevermögens geben, das nicht auf Gutes geht. Darum wird im verständigen Teile des Strebevermögens nicht eingeteilt nach der Unterscheidung einiger Sondergüter, wie das sinnliche Strebevermögen eingeteilt wird, welches auf das Gute nicht absieht entsprechend dem allgemeinen Charakter [des Guten], sondern auf irgendein besonderes Gut. —Da es also in den Engeln nur ein verständiges Strebevermögen gibt, wird ihr Strebevermögen nicht unterschieden in Überwindungs- und Begierdekraft, sondern es bleibt ungeteilt und wird Wille genannt.

Zu 1. Wut und Begierde werden in übertragenem Sinne von den bösen Geistern ausgesagt, wie auch der Zorn gelegentlich Gott zugesprochen wird wegen der Ähnlichkeit der Wirkung [vgl. 3,2 Zu 2.].

Zu 2. Liebe und Freude, insofern sie Leidenschaften sind, liegen in der Begierdekraft; sofern sie aber einen einfachen Willensakt besagen, sind sie im verständige Teile; so ist Liebe: einem Gutes wollen, und sich Freuen: das Ruhen des Willens in einem gehabten Gute. Und ganz Allgemein gilt, dass nichts derart von den Engeln ausgesagt wird im Sinn von Leidenschaft (Augustinus).

Zu 3. Die Minne, insofern sie Tugend ist, ist nicht in der Begierdekraft, sondern im Willen. Denn der Gegenstand der Begierdekraft ist das dem Sinn entsprechende ergötzliche Gut; derart aber ist nicht das göttliche Gut, welches Gegenstand der Minne ist. Aus dem selben Grunde ist zu sagen, dass die Hoffnung nicht im Bereich der Überwindungskraft liegt. Denn der Gegenstand der Überwindungskraft ist etwas schwer zu Erreichendes im Sinnesbereich, worauf die Hoffnung, die Tugend ist, nicht geht; denn diese geht auf ein schwer zu erreichendes göttliches Gut. Die Mäßigkeit aber, insofern sie eine menschliche Tugend ist, hat es zu tun mit den Begierden der sinnlichen Ergötzungen, welche zur Begierdekraft gehören. Ähnlich hat es die Tapferkeit zu tun mit den Formen der Kühnheit und Furcht, die im Bereich er Überwindungskraft liegen. Und darum ist die Mäßigkeit, sofern sie menschliche Tugend ist, in der Begierdekraft; und die Tapferkeit in der Überwindungskraft. Auf dese Weise aber sind sie nicht in den Engeln. Denn es gibt in ihnen nicht die Leidenschaften der Begierlichkeiten, oder der Furcht und der Kühnheit, welche es durch Mäßigkeit und Tapferkeit zu regeln gälte; doch spricht an bei ihnen von Mäßigkeit, sofern sie ihren Willen maßvoll in Tätigkeit setzen nach der Regel des göttlichen Willens und von Tapferkeit, sofern sie den göttlichen Willen standhaft ausführen. Das alles geschieht durch den Willen und nicht durch die Überwindungs- und Begierdekraft.

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