Die Engellehre anhand der Schriften
der großen Theologen und des kirchlichen Lehramtes

Hl. Thomas von Aquin: Summa Theologiae

Hl. Thomas von Aquin: Summa Contra Gentiles

Die Gesamtheit der Theologie des Hl. Thomas besteht aus mehren Bänden. In der Wirklichkeit sind es fünf  Bände. In der Logik aber hat es der große Theologe in drei unterteilt:
1. Teil: Gottes Schöpfung und sein Wirken in der Schöpfung
2. Teil: Das menschliche Handeln: Dieser Teil ist wiederum unterteilt in 2 Unterteilen:
"1.Teil des 2.Teiles" : Das Wesen des Handelns an sich und
"2. Teil des 2 Teiles" : Die Tugenden, Urquelle des menschlichen Handelns
3. Teil: Gottes Handeln im einst menschlichen Christus und im verklärten Christus, der durch seine Sakramente wirkt. Dieser Teil ist ebenfalls unterteilt in
"3. Teil" und "Ergänzung"

 

 


Seine ganze Theologie hat der Theologe im Stil der einzelnen Fragestellung aufgebaut. Zuerst wird die Frage gestellt, dann  mit Gründen dagegen (1. 2. 3) beantwortet, darauf mit einem weiteren Grund dafür oder dagegen beantwortet (Anderseits), und schließlich mit einer Erörterung, der definiten ANTWORT, behandelt. Danach folgt noch die Entkräftung der nach der Fragestellung gegebenen negativen  Gründe (Zu 1. zu 2. zu 3. ...)

Die Engel finden sich in den  Fragen in der rechten Spalte:

1. Teil:
50. - 64. FRAGE: Die Engelwelt
50. FRAGE: Vom Wesen der Engel überhaupt
51. FRAGE: Das Verhältnis der Engel zu den Körpern
52.  FRAGE: Vom Verhältnis der Engel zum Ort
53.  FRAGE: Von der Ortsbewegung der Engel
54.  FRAGE: Von der Erkenntnis der Engel
55.  FRAGE: Von dem Erkenntnismittel der Engel
56.  FRAGE: Über die Erkenntnis der Engel im Bereich der unstofflichen Dinge
57.  FRAGE: Von der Erkenntnis der Engel hinsichtlich der stofflichen Dinge
58.  FRAGE: Von der Weise des Erkennens der Engel
59.  FRAGE: Vom Willen der Engel
60.  FRAGE: Von der Liebe oder Zuneigung der Engel
61.  FRAGE: Von der Hervorbringung der Engel zum Sein der Natur
62.  FRAGE: Von der Vollendung der Engel im Sein der Gnade und Herrlichkeit
63.  FRAGE: Von der Schlechtheit der Engel in bezug auf ihre Schuld
64.  FRAGE: Von der Strafe der bösen Geister
65. FRAGE, Artikel 3: Sind d. Körperdinge  unter Vermittlung d. Engel hervorgebracht?
65. FRAGE, Artikel  4 :Sind die Wesensformen der Körper von den Engeln?
75. FRAGE, Artikel 7: Ist die Seele von der selben Art wie der Engel?
88. FRAGE, Artikel 1: Kann die menschliche Seele d.  Stofflose durch diese selbst erkennen?
88. FRAGE, Artikel 2: Kann unser Verstand durch Stoffliches das Stofflose  erkennen?
90. FRAGE, Artikel 3: Ob die Vernunftseele unmittelbar von Gott hervorgebracht wurde
93. FRAGE, Artikel 3: Ob d. Engel vollkommener ein Ebenbild Gottes ist als d. Mensch
94. FRAGE, Artikel 2: Ob Adam im Unschuldsstande die Engel in ihrem Wesen geschaut hat
106-114 Von den Engeln in Wirkung auf die Schöpfung
106.  FRAGE: Wie ein Geschöpf das andere bewegt
107.  FRAGE: Von der Sprache der Engel
108.  FRAGE: Von den Stufen der Engel nach Rangfolgen und Chöre
109.  FRAGE: Von den Stufenordnungen der bösen Engel
110.  FRAGE: Das Walten der Engel über die körperliche Schöpfung
111.  FRAGE: Von der Einwirkung der Engel auf den Mensch
112.  FRAGE: Von der Sendung der Engel
113.  FRAGE: Vom Beschützeramt der guten Engel
114.  FRAGE: Von der Anfechtung der bösen Engel
2. Teil
Einzelaspekte der Engel in 1. Teil des 2. Teiles
3. FRAGE,  Artikel 7: Ob uns die Erkenntnis der Engel glücklich macht?
89. FRAGE,  Artikel 4: Ob ein guter oder schlechter Engel leicht sündigen kann?
98. FRAGE,  Artikel 3: Wurde das Alte Gesetz durch Engel gegeben?
Einzelaspekte der Engel in 2. Teil des 2. Teiles
5. FRAGE,  Artikel 1: Hatten Engel und Mensch in ihrer ursprünglichen Seinsweise Glauben?
5. FRAGE,  Artikel 2: Ist in den gefallenen Engeln (noch) Glaube?
25. FRAGE,  Artikel 10: Müssen wir die Engel aus der heiligen Liebe lieben?
25. FRAGE,  Artikel 11: Müssen wir die Dämonen aus heiliger Liebe lieben?
172. FRAGE,  Artikel 2: Ergeht die prophetische Offenbarung durch Engel?
3. Teil
Einzelaspekte der Engel in 3. Teil
8. FRAGE,  Artikel 4: Ist Christus als Mensch das Haupt der Engel?
11. FRAGE,  Artikel 4: War das eingegossene Wissen Christi geringer als das der Engel?
12 FRAGE,  Artikel 4: Hat Christus von den Engeln Wissen empfangen?
30. FRAGE,  Artikel 2: Musste der Maria die Botschaft durch einen Engel gebracht werden?
30. FRAGE,  Artikel 3: Musste der Engel bei der Verkündigung an Maria  sichtbar erscheinen?
36. FRAGE,  Artikel 5: Musste die Geburt Christi durch den Engel und den Stern verkündet w.?
59. FRAGE,  Artikel 5: Erstreckt sich die richterliche Gewalt Christi auf die Engel?
64. FRAGE,  Artikel 7: Können die Engel Sakramente spenden?
80. FRAGE,  Artikel 2: Kann nur der Mensch oder können auch die Engel dieses Sakrament geistig empfangen?
Einzelaspekte der Engel in  Ergänzung
16. FRAGE,  Artikel 3: Ist der Engel, der gute oder böse, für die Buße empfänglich?
76. FRAGE,  Artikel 2: Werden die Engel auf irgendeine Weise zur Auferstehung beitragen?
89. FRAGE,  Artikel 3: Müssen die Engel richten?
89. FRAGE,  Artikel 4: Vollstrecken die Dämonen ihr  Gerichtsurteil an den Verdammten?
95. FRAGE,  Artikel 4: Besitzen die Engel Brautgaben?
96. FRAGE,  Artikel 9: Gebührt den Engeln ein Siegeszeichen?
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aller Fragen: Sum. Theol.

ERSTER TEIL

110. FRAGE

DAS WALTEN DER ENGEL ÜBER DIE KÖRPERLICHE SCHÖPFUNG

Hierauf ist das Walten der Engel über die körperliche Schöpfung zu betrachten. Dazu ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Wird die körperliche Schöpfung verwaltet durch die Engel?
2. Gehorcht die körperliche Schöpfung den Engeln auf den Wink?
3. Können die Engel durch ihre Kraft die Körper unmittelbar örtlich bewegen?
4. Können die guten oder schlechten Engel Wunder wirken?

1. ARTIKEL

Wird die körperliche Schöpfung durch die Engel betreut?

1. Die Dinge, die in der Art ihres Wirkens festgelegt sind, haben es nicht nötig, von einem Leitenden gelenkt zu werden; denn dazu haben wir die Lenkung [durch andere] nötig, damit wir nicht anders tätig sind, als es sein soll. Die körperlichen Dinge aber haben Tätigkeiten, die von der gottgegebenen Natur festgelegt sind. Sie bedürfen also nicht der Lenkung durch die Engel.

2. Unter den Wesen werden die niederen gelenkt durch die höheren. Bei den Körpern heißen nun einige ,niedere‘, andere ,höhere‘. Also werden die niederen durch die höheren gelenkt. Demnach ist es nicht nötig, dass sie durch die Engel gelenkt werden.

3. Die verschiedenen Chöre der Engel werden unterschieden nach den verschiedenen Ämtern. Wenn aber die körperlichen Geschöpfe durch die Engel betreut werden, so muss es hei den Engeln so viele Ämter geben, als es Arten der Dinge gibt. Also wird es unter den Engeln auch so viele Chöre gehen, als es Arten der Dinge gibt. Das aber ist gegen das oben (108, 2) Gesagte. Nicht wird also die körperliche Schöpfung durch Engel betreut.

ANDERSEITS sagt Augustinus: ,,Alle Körper werden durch den verstandhaften Geist des Lebens verwaltet." Und Gregor sagt: ,,In dieser sichtbaren Welt kann nichts angeordnet werden, es sei denn durch die unsichtbaren Geschöpfe."

ANTWORT: Sowohl im menschlichen Leben wie in der Natur findet sich insgemein, dass eine Teilmacht gelenkt und verwaltet wird von einer umfassenden Macht; so wird die Macht des Amtvogtes gelenkt durch die Macht des Königs. Auch bei den Engeln haben die höheren Engel, die den niederen vorstehen, ein umfassenderes Wissen (106, 1 u. 108, 1; 55, 3). Es ist aber offensichtlich, dass sich die Kraft jedes beliebigen Körpers mehr durch Besonderheit auszeichnet ist als die Kraft eines geistigen Selbstandwesens, denn jede körperliche Wesensform ist eine durch den Stoff vereinzelte und auf das hier und Jetzt festgelegte Form. Die unstofflichen Formen aber sind unumschränkt und übersinnlich. Wie darum die niederen Engel, die weniger umfassende Formen besitzen, durch höhere gelenkt werden, so werden alle Körperdinge durch Engel gelenkt. — Und dies wird nicht allein von den heiligen Lehrern angenommen, sondern auch von den Denkern, welche unkörperliche Selbstandwesen annahmen.

Zu 1. Die körperlichen Dinge haben bestimmte Tätigkeiten, diese Tätigkeiten aber üben sie nur aus, insofern sie [dazu] bewegt werden, denn es ist Eigenschaft des Körpers, nur tätig zu sein auf Antrieb. Und darum muss die körperliche Schöpfung von der geistigen bewegt werden.

Zu 2. Dieser Grund gilt nach der Meinung des Aristoteles, der annahm, dass die Himmelskörper voll geistigen Selbstandwesen bewegt werden, deren Anzahl er anzugeben versuchte nach der Anzahl der Bewegungen, die bei den Himmelskörpern beobachtet werden. Er nahm aber nicht an, dass es geistige Selbstandwesen gäbe, die unmittelbar über die niederen Körper walten, als höchstens die menschlichen Seelen. Und das darum, weil nach seinen Beobachtungen nur die natürlichen Tätigkeiten im Bereich der niederen Körper ausgeübt werden, für die der Antrieb durch die Himmelskörper ausreicht. —Weil wir aber behaupten, dass vieles im Bereich der niederen Körper geschieht außerhalb der natürlichen Tätigkeiten der Körper, wozu die Kräfte der Himmelskörper nicht ausreichen, darum müssen nach unserer Annahme die Engel notwendig unmittelbar walten, nicht allein über die Himmelskörper, sondern auch über die niederen Körper.

Zu 3. Über die unstofflichen Selbstandwesen haben die Philosophen sich in verschiedener Weise geäußert. Plato nahm an, die unstofflichen Selbstandwesen seien die Wesensgründe und Artgestalten der sinnenfälligen Körper, wovon einige umfassender seien als die andern; darum nahm er an, dass die unstofflichen Selbstandwesen unmittelbar über allen sinnenfälligen Körpern walten, und zwar verschiedene über verschiedenen. — Aristoteles hinwieder nahm an, die unstofflichen Selbstandwesen seien nicht die Artgestalten der sinnenfälligen Körper, sondern etwas Höheres und Umfassenderes. Und darum schrieb er ihnen nicht das unmittelbare Walten über die einzelnen Körper, sondern nur über die umfassenden Wirkursachen zu, welche die Himmelskörper sind. — Avicenna dagegen beschritt einen mittleren Weg. Er nahm mit Plato an, dass gewisse geistige Selbstandwesen unmittelbar über der Zone der wirkmächtigen und empfangsfähigen Wesen walten; und weil nach der Annahme Platos die Formen dieser sinnenfälligen Wesen sich ableiten von den unstofflichen Selbstandwesen, darum nahm auch Avicenna dies an. Darin unterscheidet er sich indes von Plato, dass er annahm, nur ein einziges unstoffliches Selbstandwesen walte über allen niederen Körpern, und dieses nannte er ,,wirkende Verstehensmacht".

Die heiligen Lehrer aber nahmen mit den Platonikern an, dass über die verschiedenen Körperdinge verschiedene geistige Selbstandwesen gesetzt sind. Augustinus sagt nämlich ,,Ein jedes sichtbare Ding in dieser Welt hat eine engelhafte Macht, welche ihm übertan ist." Und Johannes von Damaskus sagt: ,,Der Teufel war aus der Reihe jener engelhaften Kräfte, die über die irdischen Ordnungen gesetzt waren." Und Origenes sagt zu Num 22, 23: ,Als die Eselin den Engel gesehen hatte‘: ,,Die Welt braucht die Engel, die über den Tieren walten und über der Geburt der Tiere und über dein Wachstum der Sträucher und Pflanzungen und der übrigen Dinge." —Das muss man jedoch nicht deswegen annehmen, weil ein Engel kraft seiner Natur mehr geeignet wäre, über Tieren zu walten als über Pflanzen, denn ein jeder Engel, auch der unterste, besitzt eine höhere und umfassendere Kraft als irgendeine Gattung der Körperdinge; sondern das kommt von der Ordnung der göttlichen Weisheit, welche über verschiedene Dinge verschiedene Lenker gesetzt hat.

Doch folgt daraus nicht, dass es mehr Engelchöre gibt als neun, weil die Chöre unterschieden werden nach den umfassenden Ämtern (108, 2). Wie darum nach Gregor zum Chor der ,Mächte‘ alle Engel gehören, die im eigentlichen Sinn Herrschaft über die bösen Geister haben, so scheinen zum Chor der ,Kräfte‘ alle Engel zu gehören, welche Herrschaft über alle rein körperlichen Dinge haben, denn durch ihre Dienste geschehen sogar bisweilen Wunder.

2. ARTIKEL

Gehorcht der körperliche Stoff den Engeln auf den Wink?

1. Die Kraft des Engels ist größer als die Kraft der Seele. Dem Gedanken der Seele aber gehorcht der körperliche Stoff, denn der Leib des Menschen erfährt von den Gedanken der Seele eine Veränderung, wird warm und kalt, bisweilen sogar gesund und krank. Also wird noch viel eher auf den Gedanken eines Engels hin der körperliche Stoff verändert.

2. Was immer die niedere Kraft vermag, vermag auch die höhere Kraft. Die Kraft des Engels aber ist höher als die körperliche Kraft. Nun kann ein Körper durch seine Kraft den körperlichen Stoff durch Verwandlung zu einer [neuen] Form bringen, so wenn Feuer Feuer zeugt. Also vermögen in noch viel stärkerem Maße die Engel durch ihre Kraft den körperlichen Stoff durch Verwandlung zu einer Form zu bringen.

3. Die ganze körperliche Natur wird durch Engel betreut (Art. 1), und so scheint es, dass die Körper sich zu den Engeln verhalten wie Werkzeuge, denn das Wesen des Werkzeugs besteht darin, ein bewegtes Bewegendes zu sein. Nun findet sich aber in den Wirkungen etwas von der Kraft der Hauptwirkenden, was nicht durch die Kraft des Werkzeuges geschehen kann, und das ist das Hauptsächlichere in der Wirkung. So erfolgt die Verdauung der Speise durch die Kraft der natürlichen Wärme, die das Werkzeug der Nährseele ist; dass aber lebendiges Fleisch gezeugt wird, stammt [unmittelbar] aus der Kraft der Seele. Desgleichen liegt es an der Säge, wenn Holz gesägt wird; dass aber die Form des Bettes zustande kommt, stammt aus dem Werkplan. Also stammt die Wesensform, welche das Hauptsächlichere in den körperlichen Wirkungen ist, aus der Kraft der Engel. Der Stoff gehorcht demnach bei seiner Wesensgestaltung den Engeln.

ANDERSEITS sagt Augustinus: ,,Man darf nicht glauben, dass der Stoff dieser sichtbaren Dinge jenen frevelnden Engeln auf den Wink dienstbar sei, sondern Gott allein."

ANTWORT: Die Anhänger Platos nahmen an, dass die Formen, welche im Stoff sind, aus unstofflichen Formen verursacht seien, denn sie nahmen von den stofflichen Formen an, sie seien gewisse Teilhaben an den unstofflichen Formen. Ihnen folgte in gewisser Hinsicht Avicenna, der annahm, dass alle Formen, die im Stoff wesen, von dem Gedanken der einen Verstehensmacht ausgehen, und dass die körperlichen Wirkursachen auf die Wesensformen nur ausrichten. — Diese Denker scheinen sich darin getäuscht zu haben, dass sie meinten, die Wesensform sei gleichsam etwas für sich Gemachtes, das so aus einem formgebenden Seinsgrunde hervorgehe. Doch, wie der Philosoph beweist, ist das, was im eigentlichen Sinne ,,wird", das Zusammengesetzte, denn das ist eigentlich das ,in sich Stehende‘. Die Form aber wird nicht ,Seiendes‘ genannt, in dem Sinne, als habe sie selbst Sein, sondern wie das, wodurch etwas ist, und so ,wird‘ folgerichtig im eigentlichen Sinne auch nicht die Form; denn dem kommt ,Werden‘ zu, dem .‘Sein‘ zukommt, weil ,Werden‘ nichts anderes ist als ,Weg ins Sein‘.

Es ist aber offensichtlich, dass das Geschaffene dem Schaffenden ähnlich ist, denn ein jedes Wirkende wirkt ein ihm Ähnliches. Darum hat das, was Naturdinge schafft, Ähnlichkeit mit dem Zusammengesetzten, entweder weil es selbst zusammengesetzt ist, wie das Feuer Feuer zeugt, oder weil das Zusammengesetzte als Ganzes, sowohl in bezug auf den Stoff wie auch in bezug auf die Form, in seiner Kraft liegt, was Gott allein zukommt. So erfolgt denn jede Wesensgestaltung des Stoffes entweder von Gott unmittelbar oder von einem körperlichen Wirkenden, nicht aber unmittelbar vom Engel.

Zu 1. Unsere Seele ist dem Körper geeint als Wesensform, und so ist es nicht verwunderlich, wenn auf Grund ihrer Vorstellung eine ,förmliche‘ Veränderung in ihm vorgeht, besonders da die Regung des sinnlichen Strebevermögens, die von einer körperlichen Veränderung begleitet ist, der Herrschaft der Vernunft unterworfen ist. Der Engel aber steht nicht in diesem Verhältnis zu den Naturkörpern. Darum ist der Grund nicht stichhaltig.

Zu 2. Das, was die tieferstehende Kraft vermag, vermag die höherstehende nicht auf dieselbe, sondern auf erhabenere Weise; so erkennt der Verstand die Sinnendinge auf vorzüglichere Weise als der Sinn. Und so verändert der Engel den körperlichen Stoff auf erhabenere Weise als die körperlichen Wirkursachen, nämlich, indem er die körperlichen Wirkursachen selbst bewegt als höhere Ursache.

Zu 3. Nichts steht im Wege, dass gewisse Wirkungen in den Naturdingen aus der Kraft der Engel erfolgen, wozu die körperlichen Wirkursachen nicht ausreichen. Das aber bedeutet nicht, dass der Stoff den Engeln auf den Wink gehorcht, genau so wenig, wie den Köchen der Stoff auf den Wink gehorcht, die nach den Vorschriften ihrer Kochkunst irgendein Kochverfahren durchführen mit Hilfe des Feuers, was das Feuer allein nicht zustande brächte; denn es geht nicht über die Kraft einer körperlichen Wirkursache hinaus, den Stoff zu einer Wesensform zu bringen, weil Ähnliches darauf angelegt ist, ihm Ähnliches zu schaffen.

3. ARTIKEL

Gehorchen die Körper den Engeln auf örtliche Bewegung?

1. Die örtliche Bewegung der Naturkörper folgt deren Wesensformen. Die Engel aber verursachen die Wesensformen der Naturkörper nicht (Art. 2; 65, 4; 91, 2). Also können sie in ihnen keine örtliche Bewegung verursachen.

2. Im Achten der ,,Physik" wird bewiesen, dass die örtliche Bewegung die erste der Bewegungen ist. Die Engel aber können auch andere Bewegungen nicht verursachen, etwa dadurch, dass sie den Stoff von der Form her verändern. Also können sie auch keine örtliche Bewegung verursachen.

3. Die körperlichen Glieder gehorchen der Vorstellung der Seele zur örtlichen Bewegung, insofern sie in sich selbst eine Art Lebensgrund besitzen. In den Naturdingen aber gibt es keinen Lebensgrund irgendwelcher Art. Also gehorchen sie den Engeln nicht zur örtlichen Bewegung.

ANDERSEITS sagt Augustinus, dass die Engel die Samen der Körperdinge verwenden zur Erreichung gewisser Wirkungen. Das können sie aber nur durch örtliche Bewegung bewirken. Also gehorchen ihnen die Körper auf örtliche Bewegung.

ANTWORT: Dionysius sagt: ,,Die göttliche Weisheit verbindet das Ende der Dinge erster Ordnung mit dem Anfang der Dinge zweiter Ordnung"; daraus erhellt, dass die tieferstehende Natur in ihrer Spitze berührt wird von der höherstehenden. Die körperliche Natur aber steht unterhalb der geistigen. Nun ist unter allen körperlichen Bewegungen die örtliche die vollkommenste (Aristoteles); der Grund liegt darin, dass das örtlich Bewegbare als solches nicht in der Möglichkeit steht zu etwas Innerlichem, sondern allein zu etwas Äußerlichem, nämlich dem Ort. Und darum ist die körperliche Natur darauf angelegt, unmittelbar von der Geistnatur örtlich bewegt zu werden. Darum haben auch die Philosophen angenommen, dass die höchsten Körper örtlich bewegt werden von geistigen Selbstandwesen. Daher auch beobachten wir, dass die Seele den Körper zunächst und vornehmlich in örtlicher Bewegung bewegt.

Zu 1. Bei den Körpern gibt es noch andere Ortsbewegungen neben denen, welche auf die Wesensformen folgen; so folgen Ebbe und Flut des Meeres nicht der Wesensform des Wassers, sondern der Kraft des Mondes. Um so mehr können gewisse örtliche Bewegungen der Kraft geistiger Selbstandwesen folgen.

Zu 2. Die Engel können dadurch, dass sie zunächst eine örtliche Bewegung verursachen, andere Bewegungen bewirken, indem sie z.B. körperliche Wirkursachen zur Hervorbringung solcher Wirkungen verwenden, wie der Schmied das Feuer verwendet, um Eisen weich zu machen.

Zu 3. Die Engel besitzen eine Kraft, die weniger eingeschränkt ist als die der Seele. Die Kraft der Seele nämlich ist eingeschränkt auf den mit ihr verbundenen Leib, der durch sie lebendig erhalten wird und durch dessen Vermittlung sie anderes bewegen kann. Die Kraft des Engels aber ist nicht eingeschränkt auf irgendeinen Körper. Er kann also die mit ihm nicht verbundenen Körper örtlich bewegen.

4. ARTIKEL

Können die Engel Wunder wirken?

1. Gregor sagt: "‘Kräfte‘ heißen die Geister, durch welche häufig Zeichen und Wunder geschehen."

2. Augustinus sagt: ,,Die Zauberer wirken Wunder durch geheime Verträge, die guten Christen durch öffentliche Gerechtigkeit, die schlechten Christen durch die Zeichen öffentlicher Gerechtigkeit" Die Zauberer aber wirken Wunder dadurch, dass sie ,,von den bösen Geistern erhört werden" (Augustinus). Demnach können die bösen Geister Wunder wirken. Um so mehr also die guten Engel.

3. Augustinus sagt: ,,Es ist nicht widersinnig, zu glauben, dass alles, was sichtbarerweise geschieht, auch durch die niederen Gewalten dieser Luftwelt geschehen kann." Wenn nun eine Wirkung natürlicher Ursachen hervorgebracht wird außerhalb der Ordnung einer natürlichen Ursache, so heißen wir das ein Wunder, z.B., wenn jemand nicht durch die Wirkung der Natur vom Fieber geheilt wird. Also können auch die Engel und bösen Geister Wunder wirken.

4. Die höhere Kraft ist nicht der Ordnung der niederen Ursache unterstellt. Die körperliche Natur aber steht unter der des Engels. Also kann der Engel mit Übergehung der Ordnung der körperlichen Wirkursachen tätig sein. Das heißt aber Wunder wirken.

ANDERSEITS wird Ps 136 (135), 4 von Gott gesagt: ,,Er wirkt große Wunder, Er allein."

ANTWORT: Von einem Wunder ist im eigentlichen Sinne dann die Rede, wenn etwas geschieht vorbei an der Ordnung der Natur. Es genügt aber nicht zum Begriff des Wunders, dass etwas geschieht vorbei an der Ordnung irgendeiner Teilnatur, denn sonst würde, wer einen Stein in die Höhe wirft, ein Wunder wirken, da dieses außerhalb der Naturordnung des Steines liegt. Deswegen wird also etwas Wunder genannt, weil es vorbei an der Ordnung der gesamten geschaffenen Natur geschieht. Und das kann nur Gott machen, denn was immer der Engel oder irgendein anderes Geschöpf aus eigener Kraft tut, das geschieht gemäß der Ordnung der geschaffenen Natur, ist demnach kein Wunder. Es bleibt also dabei, dass nur Gott Wunder wirken kann.

Zu 1. Man sagt von den Engeln, sie wirken Wunder, entweder, weil Gott auf ihren Wunsch hin Wunder wirkt (so sagt man auch von heiligen Menschen, sie wirken Wunder); oder weil sie einen Dienst leisten bei den Wundern, welche geschehen, so wenn sie den Staub sammeln bei der allgemeinen Auferstehung oder ähnliches tun.

Zu 2. Von Wundern schlechthin spricht man dann, wenn etwas geschieht vorbei an der Ordnung der gesamten geschaffenen Natur (Antw.). Weil aber nicht alle Kräfte der geschaffenen Natur uns bekannt sind, darum ist etwas, wenn es vorbei an der uns bekannten Ordnung der geschaffenen Natur geschieht, auf Grund einer uns unbekannten geschaffenen Kraft, ein Wunder ,für uns‘. Wenn also die bösen Geister durch ihre natürliche Kraft etwas wirken, so heißt das nicht Wunder schlechthin, sondern nur ,für uns‘. Und auf diese Weise wirken die Zauberer durch die bösen Geister ihre ,Wunder‘. Von diesen ,Wundern‘ sagt man, sie seien ,,durch geheime Abmachungen gewirkt, weil jedwede Kraft eines Geschöpfes. im Weltall sich so verhält, wie die Kraft irgendeiner Privatperson im Staat; wenn also ein Zauberer etwas wirkt durch einen mit einem bösen Geist abgeschlossenen Vertrag, so geschieht das gleichsam durch eine ,geheime Abmachung‘. Die göttliche Gerechtigkeit nun steht im ganzen Weltall wie das öffentliche Recht im Staat. Und darum heißt es von den guten Christen, insofern sie in göttlicher Gerechtigkeit Wunder wirken, sie wirken Wunder in öffentlicher Gerechtigkeit; von den schlechten Christen aber [heißt es, sie wirken Wunder] durch die Zeichen der göttlichen Gerechtigkeit, z.B. Anrufung des Namens Christi oder Anwendung von Sakramenten.

Zu 3. Die geistigen Mächte können das bewirken, was sichtbar geschieht in dieser Welt, indem sie körperliche Samen in örtlicher Bewegung verwenden [Art. 3 Zu 2].

Zu 4. Wenn die Engel auch etwas bewirken können vorbei an der Ordnung der körperlichen Natur, so können sie doch nichts bewirken vorbei an der Ordnung der Gesamtschöpfung, was zum Wesen des Wunders gehört (Antwort).

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111. FRAGE

VON DER EINWIRKUNG DER ENGEL AUF DIE MENSCHEN

Hierauf ist die Einwirkung der Engel auf die Menschen zu betrachten. Und zwar *erstens, wie weit sie die Menschen beeinflussen können durch ihre natürliche Kraft; *zweitens, wie sie von Gott zum Dienste der Menschen gesandt werden; *drittens, wie sie die Menschen beschützen.

Zum Ersten ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Kann der Engel den Verstand des Menschen erleuchten?
2. Kann er seinen Willen beeinflussen?
3. Kann er seine Einbildungskraft beeinflussen?
4. Kann er seine Sinne beeinflussen?

1. ARTIKEL

Kann der Engel den Menschen erleuchten?

1. Der Mensch wird erleuchtet durch den Glauben. Darum schreibt Dionysius die Erleuchtung der Taufe zu, die das ,Sakrament des Glaubens‘ ist. Der Glaube aber stammt unmittelbar von Gott nach Eph 2, 8: ,,Aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben und nicht aus euch, denn er ist Gottes Geschenk." Also wird der Mensch nicht vom Engel erleuchtet, sondern unmittelbar von Gott.

2. Zu Röm 1, 19 ,Gott hat es ihnen geoffenbart‘ sagt die Glosse: ,,Nicht nur die natürliche Vernunft hat dazu geholfen, dass das Göttliche den Menschen kund wurde, sondern Gott hat ihnen Seine Offenbarung auch durch Sein Werk", nämlich die Schöpfung, zuteil werden lassen. Beides aber stammt von Gott unmittelbar, sowohl die natürliche Vernunft wie auch die Schöpfung. Also erleuchtet Gott unmittelbar den Menschen.

3. Wer immer erleuchtet wird, erkennt seine Erleuchtung. Die Menschen aber nehmen keine Erleuchtung von Seiten der Engel wahr. Also werden sie nicht von ihnen erleuchtet.

ANDERSEITS beweist Dionysius, dass die Offenbarungen göttlicher Dinge zu den Menschen gelangen durch die Vermittlung der Engel. Solche Offenbarungen sind aber Erleuchtungen (106, 1; 107, 2). Also werden die Menschen durch die Engel erleuchtet.

ANTWORT: Die Ordnung der göttlichen Weisheit verlangt, dass die tieferstehenden Wesen dem Wirken der höheren unterstehen (109, 2; 110, 1); darum werden, ebenso wie die niederen Engel durch die höheren erleuchtet werden, auch die Menschen, welche tiefer stehen als die Engel, durch diese erleuchtet.

Die Art und Weise aber dieser doppelten Erleuchtung ist in mancher Hinsicht ähnlich und in mancher Hinsicht verschieden. Oben (106, 1) wurde nämlich dargetan, dass die Erleuchtung, die eine Offenbarung göttlicher Wahrheit ist, zweierlei einschließt: eine Stärkung des niederen Verstandeswesens durch die Tätigkeit des höheren, und die Darbietung der im höheren Verstand sich vorfindenden Erkenntnisbilder an das niedere Verstandeswesen, so dass sie von diesem erfasst werden können. Und das geschieht bei den Engeln, insofern der höhere Engel die umfassend von ihm aufgenommene Wahrheit [in Teilwahrheiten] auflöst, je nach der Fassungskraft des niederen Engels (106, 1). Der menschliche Verstand kann aber die hüllenlose, geistentstammte Wahrheit selbst nicht fassen, denn es ist seiner Natur eigen, in der Hinwendung zu Vorstellungsbildern zu erkennen (84, 7). Und darum stellen die Engel den Menschen die Wahrheit dar unter den Ähnlichkeiten der sinnfälligen Dinge; in diesem Sinne sagt Dionysius: ,,Es ist unmöglich, dass der göttliche Strahl uns anders aufleuchte als verhüllt unter dem bunten Wechsel heiliger Schleier." — Anderseits wird der menschliche Verstand, als der niedere, durch die Tätigkeit des Engelsverstandes gestärkt. Und in diesem doppelten Sinne kommt die Erleuchtung des Menschen durch den Engel in Betracht.

Zu 1. Zum Glauben kommen zwei Dinge zusammen [II-II 6,1]: *Erstens das Gehahen des Verstandes, wodurch er befähigt wird, dem Willen, der auf die göttliche Wahrheit zustrebt, zu gehorchen: denn der Verstand stimmt der Glaubenswahrheit nicht so zu, als ob er durch die Vernunft genötigt würde, sondern unter dem Befehl des Willens, denn ,,niemand glaubt, es sei denn, er will" (Augustinus). Und so gesehen, ist de Glaube allein von Gott. — *Zweitens ist zum Glauben erforderlich, dass die Glaubensinhalte dem Glaubenden vorgestellt werden. Und das geschieht durch den Menschen: ,,Der Glaube stammt vom Hören" (Röm 10, 17); vornehmlich aber durch die Engel, durch die den Menschen die göttlichen Geheimnisse geoffenbart werden. Darum tragen die Engel bei zur Erleuchtung des Glaubens. Und doch werden die Menschen von den Engeln nicht nur über das, was zu glauben ist, erleuchtet, sondern auch über das, was zu tun ist.

Zu 2. Die natürliche Vernunft, die unmittelbar von Gott stammt, kann durch den Engel gestärkt werden (Antw.). — Desgleichen wird aus den von den Geschöpfen hergenommenen Erkenntnisbildern eine um so erhabenere geistig schaubare Wahrheit gewonnen, je stärker der menschliche Verstand ist. Und so hilft der Engel der Menschen, dass er aus den Geschöpfen eine vollkommenere Erkenntnis Gottes gewinnt.

 

Zu 3. Die Erkenntnistätigkeit und die Erleuchtung können in doppelter Hinsicht betrachtet werden. Einmal von Seiten des erkannten Dinges, und so gesehen erkennt jeder, der erkennt oder erleuchtet wird, dass er erkennt oder erleuchtet wird; denn er erkennt, dass die Sache ihm offenbar ist. Sodann von Seiten des [Erkenntnis-] Grundes, und so gesehen, erkennt nicht jeder, der eine Wahrheit erkennt, das Wesen des Verstandes, welcher der Grund geistiger Tätigkeit ist. Ebenso erkennt nicht jeder, der vom Engel erleuchtet wird, dass er vom Engel erleuchtet wird.

2. ARTIKEL

Können die Engel den Willen des Menschen beeinflussen?

1. Zu Hebr 1,7: ,Er macht Seine Engel zu wehenden Winden, zu Feuerflammen Seine Diener", bemerkt die Glosse: ,,Feuer sind sie, dass sie im Geiste glühen und unsere Laster ausbrennen." Das aber wäre nicht der Fall, wenn sie nicht den Willen beeinflussen würden. Also können die Engel den Willen beeinflussen.

2. Beda sagt [zu Mt 15,11: ,Was aus dem Munde hervorgeht...‘]: ,,Der Teufel ist nicht der Flüsterer böser Gedanken, er entzündet sie." Johannes von Damaskus aber behauptet sogar, dass er sie einflüstert. Er sagt nämlich: ,,Jede Schlechtigkeit und die unreinen Leidenschaften sind von den bösen Geistern ausgeheckt, und es ist ihnen gestattet worden, sie den Menschen einzugeben." Mit demselben Recht geben auch die guten Engel gute Gedanken ein und entzünden sie. Das aber könnten sie nicht tun, wenn sie nicht den Willen beeinflussten. Also beeinflussen sie den Willen.

3. Der Engel erleuchtet den Verstand des Menschen durch Vermittlung der Vorstellungsbilder (Art.1). Wie aber das Vorstellungsvermögen, das dem Verstande dienstbar ist, vom Engel beeinflusst werden kann, so auch das sinnliche Strebevermögen, das dem Willen dienstbar ist; denn auch der Wille ist eine Kraft, die sich eines körperlichein Lebenswerkzeuges bedient. Wie also der Engel den Verstand erleuchtet, so kann er auch den Willen beeinflussen.

ANDERSEITS ist die Beeinflussung des Willens Gott allein eigen, nach Spr 21,1: ,,Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn, Er lenkt es, wohin Er will."

ANTWORT Der Wille kann auf doppelte Weise beeinflusst werden. *Einmal von innen her; und da die Willensbewegung nichts anderes ist als die Hinneigung des Willens zum gewollten Gegenstand, so ist es Gottes allein, der der geistigen Natur die Kraft zu einer solchen Hinneigung verleiht, in dieser Weise den Willen zu beeinflussen. Wie nämlich die natürliche Hinneigung nur von Gott stammt, der die Natur gibt, so stammt auch die willensmäßige Hinneigung nur von Gott, der den Willen wirkt.
*Zweitens wird der Wille von außen her bewegt, und zwar erfolgt das beim Engel nur auf eine einzige Weise; nämlich von Seiten des vom Verstande erfassten Gutes. Und darum bewegt jemand den Willen insoweit, als er Ursache dafür ist, dass etwas als erstrebenswertes Gut erfasst wird. Auf diese Weise kann Gott allein den Willen wirksam bewegen, der Engel aber und der Mensch durch freundschaftlichen Rat (106, 2). — Doch wird der Wille neben dieser noch auf andere Weise von außen bewegt, nämlich von Seiten der Leidenschaft, die im sinnlichen Strebevermögen ihren Sitz hat. So beugt Begierlichkeit oder Zorn den Willen dazu, etwas zu wollen. Und auf diese Weise können auch die Engel insofern sie imstande sind, derartige Leidenschaften zu erregen, den Willen bewegen; nicht aber mit Notwendigkeit, da der Wille stets die Freiheit behält, der Leidenschaft zuzustimmen oder ihr zu widerstehen.

Zu 1. Von den Dienern Gottes, Menschen oder Engeln, wird gesagt, sie brennen die Laster aus und entflammen zur Tugendübung durch Überredung.

Zu 2. Die bösen Geister können keine Gedanken eingeben, indem sie diese etwa innerlich verursachen, da der Gebrauch der Denkkraft dem Willen untersteht. Doch heißt es vom Teufel, er sei der Entzünder von Gedanken, insoweit er aufreizt zum Denken oder zur Erstrebung des Gedachten durch Schmeicheln oder Anstachelung der Leidenschaft. Und eben dieses Entzünden nennt Johannes von Damaskus ,eingeben‘, weil eine solche Tätigkeit innerlich geschieht. — Die guten Gedanken aber werden einem höheren Grunde zugeschrieben, nämlich Gott, wenn sie auch durch die Dienstwaltung der Engel besorgt werden.

Zu 3. Der menschliche Verstand kann im gegenwärtigen Zustand nur erkennen durch Hinwendung zu den Vorstellungsbildern; der menschliche Wille aber kann etwas wollen aus dem Urteil der Vernunft heraus, ohne der Leidenschaft des sinnlichen Strebevermögens zu folgen. Darum gilt der Vergleich nicht.

3. ARTIKEL

Kann der Engel die Einbildungskraft des Menschen beeinflussen?

1. Die Vorstellung ist ,,eine Bewegung, welche vom Sinn her entsteht, sofern er im Vollzug tätig ist" (Aristoteles). Würde diese Bewegung aber von Seiten des Engels durch Beeinflussung erfolgen, so erfolgte sie nicht vom Sinn her, sofern er im Vollzug tätig ist. Also widerspricht es dem Wesen der Vorstellung, die eine Leistung der Einbildungskraft ist, dass sie durch Beeinflussung von Seiten der Engel entsteht.

2. Die Formen, die sich in der Einbildungskraft finden, sind, weil geistartig, edler als die Formen, die im sinnfälligen Stoff sich finden. Der Engel aber kann dem sinnfälligen Stoff keine Formen einprägen (110, 2). Also kann er auch der Einbildungskraft keine Formen einprägen, und somit kann er sie nicht beeinflussen.

3. Augustinus sagt: ,,Durch Verbindung mit einem anderen Geist kann es geschehen, dass der Geist das, was er selbst weiß, durch solche Bilder dem, mit welchem er sich verbindet, zeigt, entweder, damit dieser es erkenne oder, wenn er es erkannt hat, weiter ausbreite." Es scheint aber nicht, dass ein Engel sich mit der menschlichen Einbildungskraft verbinden könne, noch auch, dass die Einbildungskraft die geistigen Erkenntnisgegenstände fassen könne, die der Engel erkennt. Also scheint es, dass der Engel die Einbildungskraft nicht beeinflussen kann.

4. Bei der Schau der Einbildungskraft haftet der Mensch an den ,Ähnlichkeiten‘ der Dinge, wie an den Dingen selbst. Darin aber liegt eine gewisse Täuschung. Da nun aber der gute Engel nicht Ursache einer Täuschung sein kann, scheint es, dass er keine Schau der Einbildungskraft hervorrufen kann durch Beeinflussung der Einbildungskraft.

ANDERSEITS: Das, was im Traum erscheint, wird in der Schau der Einbildungskraft gesehen. Die Engel aber offenbaren einiges im Traum, wie das deutlich wird bei dem Engel, der dem Joseph im Traume erschienen ist (Mt 1,20; 2,13ff.). Also kann der Engel die Einbildungskraft beeinflussen.

ANTWORT Sowohl der gute wie der böse Engel kann kraft seiner Natur die Einbildungskraft des Menschen beeinflussen. Das lässt sich auf folgende Weise dem Verständnis nahe bringen. Die körperliche Natur gehorcht dem Engel auf örtliche Bewegung (110, 3). Also untersteht das, was durch die örtliche Bewegung mancher Körper verursacht werden kann der natürlichen Kraft der Engel. Es ist aber offensichtlich, dass die Erscheinungen der Einbildungskraft bisweilen in uns verursacht werden durch räumliche Bewegung der körperlichen Kraftströme und Säfte. Darum sagt Aristoteles bei der Bestimmung der Ursachen für die Erscheinung der Träume: ,,Wenn ein Tier schläft, so steigen mit reichlich Blut, das zum Grunde des sinnlichen Lebens hinabsteigt, auch die ,Bewegungen‘ hinab", das heißt, die aus den Regungen der Sinne zurückgebliebenen Eindrücke, die in den sinnlichen ,Lebensgeistern‘ aufbewahrt werden, und ,,bewegen den Wirkgrund des Sinnenlebens", so dass eine Art Erscheinung entsteht, wie wenn der ,Wirkgrund‘ des Sinnenlebens in diesem Augenblick von den äußeren Dingen selbst beeinflusst würde. Und die Erregung der Lebensgeister und der Säfte kann so groß sein, dass solche Erscheinungen auch im Wachzustand auftreten, wie das bei den Geistesgestörten und in ähnlichen Fällen zu beobachten ist. Wie das also durch die natürliche Erregung der Säfte und bisweilen auch durch den Willen des Menschen geschieht, der sich willkürlich vorstellt, was er früher mit den Sinnen wahrgenommen hat, so kann das auch geschehen durch die Kraft des guten oder bösen Engels, manchmal unter Ausschaltung der körperlichen Sinne, manchmal auch ohne eine solche Ausschaltung.

Zu 1. Der erste Ursprung des Vorstellungsbildes liegt im Vollzug der Sinneswahrnehmung. Denn wir können uns nichts vorstellen, was wir in keiner Weise, sei es im Ganzen, sei es im Teil, mit den Sinnen wahrnehmen, wie ein Blindgeborener sich keine Farben vorstellen kann. Bisweilen aber wird die Einbildungskraft bestimmt von den im Innern [der Seele] aufbewahrten Eindrücken, so dass sich [von innen her] der Ablauf einer Vorstellungsreihe ergibt.

Zu 2. Der Engel wirkt verändernd ein auf die Einbildungskraft, nicht zwar so, als ob er ein Vorstellungsbild einprägte, das in keiner Weise vorher durch einen Sinneseindruck aufgenommen worden wäre (er könnte nämlich nicht bewirken, dass ein Blinder sich Farben vorstellt), sondern er bewirkt das durch örtliche Bewegung der Lebensgeister [Kraftströme] und Säfte (Antw.).

Zu 3. Jene Verbindung des Engelgeistes mit der menschlichen Einbildungskraft erfolgt nicht dem Wesen, sondern der Wirkung nach, die er auf die oben besagte Weise in der Einbildungskraft hervorruft; dieser zeigt er nämlich, was er selbst weiß, nicht aber in derselben Weise, wie er es weiß.

Zu 4. Der Engel, der eine Schau der Einbildungskraft bewirkt, erleuchtet bisweilen gleichzeitig den Verstand, so dass dieser erkennt, was durch solche ,Ähnlichkeiten‘ bedeutet wird, und dann ist eine Täuschung ausgeschlossen. Bisweilen aber erscheinen durch die Tätigkeit des Engels nur die ,Ähnlichkeiten‘ der Dinge in der Einbildungskraft, aber auch dabei liegt keine Täuschung vor von Seiten des Engels, sondern sie hat ihren Grund in einem Versagen des Verstandes, vor dem solche Bilder auftauchen. So war auch Christus nicht Ursache zur Täuschung, wenn Er den Scharen vieles in Gleichnissen vortrug, ohne ihnen eine Erklärung zu geben.

4. ARTIKEL

Kann der Engel die menschlichen Sinne beeinflussen?

1. Die Tätigkeit der Sinne ist eine Lebenstätigkeit. Eine solche Tätigkeit aber hat ihren Ursprung nicht im Äußeren. Also kann die Tätigkeit der Sinne nicht vom Engel verursacht werden.

Das Sinnesvermögen ist eine edlere Kraft als das Ernährungsvermögen. Der Engel aber kann, wie es scheint, das Ernährungsvermögen nicht beeinflussen, so wenig wie die anderen natürlichen Wesensformen. Also kann er auch das Sinnesvermögen nicht beeinflussen.

3. Die Sinne werden von Natur aus in Tätigkeit gesetzt durch das Sinnenfällige. Der Engel aber kann die Ordnung der Natur nicht beeinflussen (110, 4). Also kann er auch das Sinnesvermögen nicht beeinflussen, sondern der Sinn wird immer vom Sinnfälligen beeinflusst.

ANDERSEITS: Die Engel, welche Sodoma vernichteten, ,,haben die Sodomiten mit Blindheit oder ,Finsternis‘ geschlagen, so dass sie den Ausgang des Hauses nicht finden konnten" (Gen 19,11). Etwas Ähnliches liest man im 4. Buch der Könige (6, 18 ff.) von den Syrern, die Eliseus nach Samaria führte.

ANTWORT: Der Sinn wird auf zweifache Weise beeinflusst: einmal von außen, so wenn er vom Sinnfälligen beeinflusst wird; sodann von innen. Wir sehen nämlich, dass, wenn die Lebensgeister und Säfte verwirrt werden, der Sinn beeinflusst wird. Denn für die Zunge des Kranken schmeckt, weil sie voll Gallensaft ist, alles bitter, und Ähnliches trifft zu für die andern Sinne. Auf beiderlei Weise nun kann der Engel durch seine natürliche Kraft den Sinn der Menschen beeinflussen. Denn der Engel kann von außen her dem Sinn einen sinnenfälligen Gegenstand vorstellen, der entweder von der Natur schon gebildet ist oder erst neu gebildet werden muss, wie er tut, wenn er einen Leib annimmt (51,2). Desgleichen kann er auch von innen her die Lebensgeister und Säfte in Wallung bringen (Art. 3), wodurch die Sinne in verschiedener Weise beeinflusst werden.

Zu 1. Der Anfang der Sinnestätigkeit kann nicht ohne inneren Ursprung sein, der das Sinnesvermögen ist. Dieser innere Ursprung aber kann in vielfacher Weise von einem äußeren Grunde erregt werden.

Zu 2. Durch die innere Erregung der Lebensgeister und Säfte kann der Engel beitragen zur Beeinflussung der Tätigkeit des Ernährungsvermögens, und desgleichen auch des Trieb- und Sinnesvermögens und jeder beliebigen Fähigkeit, die sich eines leiblichen Lebenswerkzeuges bedient.

Zu 3. Der Engel kann nicht tätig sein vorbei an der Ordnung der Gesamtschöpfung, doch kann er tätig sein vorbei an der Ordnung einer besonderten Natur, da er einer solchen Ordnung nicht unterworfen ist; so kann er auf ganz besondere Weise den Sinn beeinflussen mit Übergehung der gewöhnlichen Art und Weise.

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112. FRAGE

VON DER SENDUNG DER ENGEL

Hierauf ist die Sendung der Engel zu betrachten. Dazu ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Werden Engel zum Dienst gesandt?
2. Werden alle Engel gesandt?
3. Stehen die Engel, welche gesandt werden, vor dem Thron?
4. Aus welchen Chören findet die Aussendung statt?

1. ARTIKEL

Werden Engel zum Dienst gesandt?

1. Jede Sendung erfolgt zu einem bestimmten Ort hin. Die verstandhaften Tätigkeiten aber richten sich nicht auf einen bestimmten Ort, weil der Verstand vom Hier -und Jetzt absieht. Da nun die Tätigkeiten der Engel rein verstandhaft sind, scheint es, dass die Engel zur Ausübung ihrer Tätigkeiten nicht gesandt werden.

2. Der Lichthimmel ist ein Ort, welcher der Würde der Engel entspricht. Wenn sie also zum Dienste zu uns gesandt werden, scheint es, dass ihrer Würde Eintrag geschieht, was unangemessen ist.

3. Äußere Beschäftigung hindert die Beschauung der Weisheit; nach Sir 38,25: ,,Wer wenig Geschäfte hat, kann zur Weisheit gelangen." Wenn also Engel zu äußeren Diensten gesandt werden, scheint es, dass sie in der Beschauung gehemmt werden. Ihre ganze Seligkeit aber besteht in der Beschauung Gottes. Wenn sie also gesandt würden, würde ihre Seligkeit vermindert, was unangemessen ist.

4. Dienen ist Sache des Tieferstehenden. Darum heißt es Lk 22,27: ,,Wer ist größer, wer zu Tische sitzt oder wer dient? Nicht der, welcher zu Tische sitzt?" Die Engel stehen aber in der Ordnung der Natur höher als wir. Also werden sie nicht zu unserem Dienste gesandt.

ANDERSEITS heißt es Ex 23,20: ,,Siehe, ich sende Meinen Engel, dass er vor dir hergebe."

ANTWORT Aus dem oben (108, 6) Gesagten ist ersichtlich, dass manche Engel von Gott zum Dienste gesandt werden. Wie nämlich schon ausgeführt wurde, als von der Sendung der göttlichen Personen die Rede war, spricht man von gesandt werden bei dem, der irgendwie von einem andern ausgeht, so nämlich, dass er dort zu sein beginnt, wo er vorher nicht war, oder dass er, wo er vorher war, auf andere Weise zu sein anfängt.

Vom Sohn nämlich oder vom Heiligen Geist sagt man, Er werde gesandt, insofern Er im Ursprung von dem Vater ausgeht; und Er beginnt da auf neue Weise, nämlich durch die Gnade oder die angenommene Natur, zu sein, wo Er schon vorher war durch die Gegenwart der Gottheit. Denn es ist Gott eigen, überall zu sein; denn, da Er die allumfassende Ursache ist, berührt Seine Kraft alles Seiende [unmittelbar]; darum ist Er in allen Dingen.

Die Kraft des Engels aber berührt, weil sie Teilursache ist, nicht das All insgesamt, sondern sie berührt das eine so, dass sie nicht [gleichzeitig] das andere berührt; und darum ist sie ,hier, so dass sie nicht [gleichzeitig] anderswo ist. Es ist nun aus dem oben (110,1) Ausgeführten offensichtlich, dass die körperliche Schöpfung von Engeln betreut wird. Wenn also von irgendeinem Engel bei irgendeinem körperlichen Geschöpf etwas geschehen soll, so wendet sich der Engel durch seine Kraft diesem Körper neu zu, und so beginnt er, dort neu zu sein. Und all das geht hervor aus göttlichem Geheiß. So folgt aus dem Vorausgehenden, dass der Engel von Gott gesandt wird.

Die Tätigkeit aber, die der gesandte Engel ausübt, geht hervor aus Gott als dem ersten Ursprung, auf dessen Wink und Gewalt hin die Engel tätig sind, und sie wird auf Gott zurückgeführt als auf das letzte Ziel. Und das macht das Wesen des Dienstes ans, denn der Diener ist gleichsam ein erkennendes Werkzeug. Das Werkzeug aber wird von einem andern bewegt, und dessen Tätigkeit ist wieder auf etwas anderes hingeordnet. Darum werden die Tätigkeiten der Engel ,Dienste‘ genannt, und deshalb heißt es von ihnen, sie werden zum Dienste gesandt.

Zu 1. Eine Tätigkeit heißt in doppeltem Sinne ,verstandhaft‘. Einmal in dem Sinne, dass sie im Verstande selbst verbleibt, wie die Beschauung, und eine solche Tätigkeit richtet sich auf keinen Ort, im Gegenteil: ,,Auch wir sind, wenn wir Ewiges im Geiste verkosten, nicht in dieser Welt" (Augustinus). — Sodann heißt eine Tätigkeit ,verstandhaft‘ in dein Sinne, dass sie von einem Verstand geregelt und befohlen ist; und so ist es offensichtlich, dass verstandhafte Tätigkeiten sich bisweilen auf einen Ort richten.

Zu 2. Der Lichthimmel entspricht der Würde der Engel im Sinne einer gewissen Angemessenheit, denn es ist angemessen, dass der höchste der Körper [als Aufenthalt] jener Natur zugewiesen werde, die über allen Körpern ist. Doch empfängt der Engel nichts an Würde vom Lichthimmel; und darum geschieht seiner Würde dadurch, dass er sich nicht gerade im Lichthimmel befindet, kein Eintrag, wie auch dem König nicht, wenn er nicht gerade auf dem königlichen Thron sitzt, wie es seiner Würde entspricht.

Zu 3. Bei uns hindert äußere Beschäftigung die Reinheit der Beschauung, weil wir uns der Tätigkeit hingeben mit den sinnlichen Kräften; werden deren Tätigkeiten angespannt, so werden die Tätigkeiten der Erkenntniskraft gehemmt. Der Engel aber regelt seine äußeren Handlungen ausschließlich durch seine geistige Tätigkeit. Darum hindern die äußeren Tätigkeiten in nichts seine Beschauung, weil von zwei Tätigkeiten, von denen die eine Regel und Grund der andern ist, die eine die andere nicht hindert, sondern unterstützt. Darum sagt Gregor: ,,Die Engel treten nicht so nach außen, dass sie dabei der Freude innerer Beschauung verlustig gehen."

Zu 4. Die Engel dienen bei ihren Tätigkeiten vornehmlich Gott und erst in zweiter Linie uns; nicht als ob wir ihnen überlegen wären, einfach gesprochen; sondern weil jeder Mensch oder Engel, sofern er im Gott-Anhangen ein Geist wird mit Gott, jedem Geschöpf überlegen ist. Darum sagt der Apostel in Phil 2,3: ,,Jeder achte (in Demut) den anderen höher ein als sich selbst".

2. ARTIKEL

Werden alle Engel zum Dienst gesandt?

1. Der Apostel sagt: ,,Alle sind dienende Geister, zum Dienst gesandt" (Hebr 1,14).

2. Der höchste unter den Chören ist dem Chor der Seraphim (108, 6). Es war aber ein Seraph, der gesandt wurde, um die Lippen des Propheten zu reinigen (Is 6, 6 f ). Also werden um so mehr die niederen Engel gesandt.

3. Die göttlichen Personen übertreffen unendlich alle Chöre der Engel. Die göttlichen Personen aber werden gesandt. Also umso mehr alle, auch die höchsten Engel.

4. Wenn die höheren Engel nicht zu einem äußeren Dienste gesandt werden, so kommt das nur daher, dass die höheren Engel die göttlichen Dienste durch die niederen Engel ausüben. Da nun die Engel alle ungleich sind (108, 3; 50, 4), hat jeder Engel einen Engel unter sich, mit Ausnahme des letzten. Also würde allein der letzte Engel zum Dienste gesandt; das ist gegen das Schrifttum: Dan 7,10: ,,Tausendmal tausend dienten Ihm."

ANDERSEITS sagt Gregor, indem er einen Satz von Dionysius anführt: ,,Die höheren Heere haben in keiner Weise das Amt eines äußeren Dienstes."

ANTWORT Wie aus dem oben (110, 1) Gesagten hervorgeht, enthält die Ordnung der göttlichen Weisheit, nicht nur bei den Engeln, sondern auch in der Menschenwelt, das Gesetz, dass das Niedere durch das Höhere verwaltet wird. Doch findet manchmal im körperlichen Bereich eine Abweichung von diesem Gesetz statt auf Grund göttlicher Anordnung, und zwar um einer höheren Ordnung willen, sofern es nämlich förderlich ist für die Offenbarung der Gnade. Dass nämlich der Blindgeborene erleuchtet [Jo 9,1 ff.] und Lazarus auferweckt wurde [Jo 11,43 f.], geschah unmittelbar durch Gott, ohne irgendeine Einwirkung der Himmelskörper. Aber auch die guten und bösen Engel können in Körpern etwas wirken, vorbei an der Wirkung der Himmelskörper, indem sie Wolken zu Regen verdichten und Ähnliches tun. Es darf auch niemandem zweifelhaft sein, dass Gott den Menschen unmittelbar etwas offenbaren kann, ohne Vermittlung der Engel, und dass die höheren Engel etwas offenbaren können, ohne Vermittlung der niedern. Im Sinne dieser Auffassung haben einige gesagt, dass nach dem allgemeinen Gesetz die Höheren nicht gesandt werden, sondern nur die Niederen; doch werden aus göttlicher Anordnung bisweilen auch Höhere gesandt.

Das scheint jedoch nicht sinnvoll. Denn die Ordnung unter den Engeln richtet sich nach den Gnadengaben. Die Gnadenordnung aber hat keine höhere Ordnung über sich, zugunsten deren sie übergangen werden müsste, wie die Naturordnung übergangen wird um der Ordnung der Gnade willen. — Es ist auch zu beachten, dass die Naturordnung beim Wirken der Wunder übergangen wird um der Bestärkung des Glaubens willen. Zu dieser Bestärkung würde es nichts beitragen, wenn die Ordnung der Engel übergangen würde, denn das könnte von uns nicht wahrgenommen werden. — Auch ist nichts so bedeutend in den göttlichen Diensten, dass es nicht durch die niederen Chöre ausgeführt werden könnte. Darum sagt Gregor: ,,Die das Höchste melden, heißen Erzengel. Darum wird zur Jungfrau Maria der Erzengel Gabriel gesandt." Und doch war dies unter allen göttlichen Diensten der höchste, wie ebendort beigefügt wird. — Und darum muss man schlechthin mit Dionysius sagen, ,,dass die höheren Engel nie zu einem äußeren Dienst gesandt werden".

Zu 1. Wie bei den Sendungen der göttlichen Personen, so gibt es auch hier eine sichtbare Sendung — diese kommt in Frage für die körperliche Schöpfung — und eine unsichtbare, die auf eine geistige Wirkung geht. So wird bei den Sendungen der Engel jene Sendung ,äußere‘ genannt, die sich auf einen Dienst bezieht, der die Körperdinge zum Gegenstand hat; in dieser Art von Sendung werden nicht alle ausgesandt. Eine andere Sendung ist die innere, die auf geistige Wirkungen geht, sofern nämlich ein Engel den andern erleuchtet. Und so werden alle Engel gesandt. — Oder man muss anders sagen, dass der Apostel jenen Satz anführt zum Beweis, dass Christus größer ist als die Engel, durch die das Gesetz gegeben wurde, um zu zeigen, dass das neue Gesetz vornehmer ist als das alte. Darum braucht diese Stelle nicht ausschließlich von den Engeln jenes Dienstes verstanden zu werden, durch die das Gesetz gegeben wurde.

Zu 2. Nach Dionysius ist zu sagen, dass jener Engel, der gesandt wurde, um die Lippen des Propheten zu reinigen, einer von den niederen Engeln war. Er wird aber Seraph, das heißt ,der Entzündende‘, genannt im übertragenen Sinn, weil er gekommen war, die Lippen des Propheten zu entzünden. — Oder man muss sagen, dass die höheren Engel die eigenen Gaben, nach denen sie benannt werden, durch Vermittlung der niederen Engel mitteilen; so heißt es denn von einem der Seraphim, er habe die Lippen des Propheten durch Flammen gereinigt, nicht, als ob er dies unmittelbar selbst getan hätte, sondern weil ein niederer Engel in seiner Kraft dies getan hat. So sagt man, der Papst spreche einen los, auch wenn er durch einen andern das Amt der Lossprechung ausüben lässt.

Zu 3. Die göttlichen Personen werden nicht zum Dienst ausgesandt; wenn man von ihnen sagt, sie werden gesandt, dann in ganz anderem Sinn.

Zu 4. Bei den göttlichen Diensten gibt es verschiedene Stufen. Darum steht nichts im Wege, dass auch ungleiche Engel unmittelbar zum Diensten ausgesandt werden; so freilich, dass die höheren zu höheren Diensten, die niederen zu niederen Diensten ausgesandt werden.

3. ARTIKEL

Werden auch die Engel ausgesandt, welche vor dem Thron stehen?

1. Gregor sagt: ,,Die Engel werden also gesandt und stehen zugleich vor dem Thron; denn wenn auch der englische [=engelhafte] Geist begrenzt ist, so ist doch der höchste Geist selbst, nämlich Gott, nicht begrenzt."

2. Der Engel des Tobias wurde zum Dienste ausgesandt. Dieser Engel aber sagt selbst: ,,Ich bin der Engel Raphael, einer von den sieben, die vor Gott stehen" (Tob 12,15). Also stehen die Engel, welche gesandt werden, vor dem Thron.

3. Jeder selige Engel ist Gott näher als Satan. Der Satan aber steht vor Gottes Thron, denn bei Job 1,6 heißt es: ,,Als die Söhne Gottes vor dem Herrn standen, da war auch Satan unter ihnen." Also stehen um so mehr die Engel, die zum Dienste ausgesandt werden, vor dem Thron.

4. Wenn die niederen Engel nicht vor dem Thron stehen, so kommt das nur daher. weil sie nicht unmittelbar, sondern durch höhere Engel die göttlichen Erleuchtungen empfangen. Ein jeder Engel aber empfängt von den ihm nächsthöheren die göttlichen Erleuchtungen, mit Ausnahme dessen, der unter allen der höchste ist. Demnach würde nur der höchste Engel vor dem Thron stehen; das ist gegen Dan 7,10: ,,Zehntausendmal hunderttausend standen vor ihm." Also stehen auch jene, welche dienen, vor dem Thron.

ANDERSEITS sagt Gregor zu Job 25,3: ,Ist die Zahl Seiner Heerscharen zu zählen?‘: ,,Jene Mächte stehen vor dem Thron, die nicht ausgehen, um den Menschen Kunde zu bringen." Also stehen die Engel, welche zum Dienste ausgesandt werden, nicht vor dem Thron.

ANTWORT: [In der Schrift] werden solche Engel angeführt, die vor dem Thron, und solche, die im Dienste stehen; nach Ähnlichkeit jener, die einem König dienen. Einige von diesen sind immer vor dem König und hören unmittelbar seine Befehle; andere wieder sind da, denen die königlichen Befehle durch die [dem Thron] zunächst stehenden gemeldet werden, wie die Verwalter der Gemeinwesen. Und diese werden Diener genannt, aber nicht Thronsassen.

Es ist nun zu bedenken, dass alle Engel die göttliche Wesenheit unmittelbar schauen, und in dieser Hinsicht heißt es von allen, auch von den dienenden, dass sie vor dem Thron stehen. Darum sagt Gregor: ,,Immerfort dürfen die, welche für unser Heil zum äußeren Dienst ausgesandt werden, vor Gott stehen und das Antlitz des Vaters schauen." Doch können nicht alle Engel die Heimlichkeiten der göttlichen Geheimnisse in der Klarheit der göttlichen Wesenheit schauen, sondern nur die höheren, durch die diese Geheimnisse den niederen überbracht werden. Und in dieser Hinsicht heißt es nur von den höheren, die aus der ersten Rangfolge sind, sie stehen vor dem Thron, [aus jener Rangfolge nämlich,] deren Eigentümlichkeit es ist, unmittelbar von Gott erleuchtet zu werden (Dionysius).

Daraus ergibt sich die Lösung Zu 1 und Zu 2, die von der ersten Art und Weise des vor-dem-Thron-stehen ausgehen.

Zu 3. Es heißt von Satan nicht, dass er vor dem Thron gestanden, sondern er wird als anwesend gemeldet unter denen, die vor dem Thron stehen; denn: ,,Wenn er auch die Seligkeit verscherzt hat, so hat er doch die engel-gleiche Natur nicht verloren" (Gregorius).

Zu 4. Alle, die vor dem Thron stehen, sehen manches unmittelbar in der Klarheit der göttlichen Wesenheit, darum wird gesagt, es sei die Eigentümlichkeit der ganzen ersten Rangfolge, unmittelbar von Gott erleuchtet zu werden. Doch schauen die Ersten unter ihnen mehr als die Tieferstehenden, worüber sie andere erleuchten. So weiß auch von denen, die um den König sind, der eine mehr von den Geheimnissen des Königs als der andere.

4. ARTIKEL

Werden alte Engel der zweiten Rangfolge zum Dienste ausgesandt?

1. Alle Engel stehen entweder vor dem Thron oder im Dienst (Dan 7,10). Die Engel der zweiten Rangfolge aber stehen nicht vor dem Thron, denn sie werden erleuchtet durch die Engel der ersten Rangfolge (Dionysius). Also werden alle Engel der zweiten Rangfolge zum Dienste ausgesandt.

2. Gregor sagt: ,,Zahlreicher sind die, welche dienen, als die, welche vor dem Thron stehen." Das wäre aber nicht der Fall, wenn die Engel der zweiten Rangfolge nicht zum Dienst ausgesandt würden. Also werden alle Engel der zweiten Rangfolge zum Dienste ausgesandt.

ANDERSEITS sagt Dionysius: ,,Die ,Herrschaften‘ sind über alles Unterworfen-sein erhaben.." Zum Dienst ausgesandt werden ist aber ein Zeichen von Unterworfensein. Also werden die ,Herrschaften‘ nicht zum Dienst ausgesandt.

ANTWORT: Die Sendung zu äußeren Diensten kommt im eigentlichen Sinn den Engel zu, sofern er aus göttlichem Auftrag ein körperliches Geschöpf betreut, und das betrifft die Ausführung des göttlichen Dienstes. Die Eigentümlichkeiten der Engel werden aber aus ihren Namen offenbar (Dionysius). Und darum werden Engel aus denjenigen Chören zu einem äußeren Dienst ausgesandt, aus deren Namen sich irgendeine ausübende Tätigkeit erkennen lässt. Im Namen der ,Herrschaften‘ aber ist keine ausübende Tätigkeit irgendwelcher Art bedeutet, sondern allein die Anordnung und der Befehl zur Ausführung. Bei dem Namen der unteren Chöre aber lässt sich eine Art ausübender Tätigkeit erkennen. Denn die ,Engel‘ und ,Erzengel‘ werden benannt vom Überbringen der Botschaften; die ,Kräfte‘ und ,Mächte‘ haben ihren Namen mm Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit. ,,Auch dem Fürsten ist es eigen, der Erste zu sein unter den andern Wirkenden" (Gregor). Darum kommt es diesen fünf Chören zu, zu äußeren Diensten ausgesandt zu werden, nicht aber den vier höheren.

Zu 1. Die ,Herrschaften‘ werden unter die dienenden Engel gerechnet, nicht wie solche, die Dienste ausüben, sondern wie solche, die anordnen und befehlen, was durch andere geschehen soll. So arbeiten auch die Baumeister im Handwerk nichts mit der Hand, sie ordnen nur an und schreiben vor, was andere arbeiten sollen.

Zu 2. Über die Zahl der vor dem Thron Stehenden und der mit dem Dienst Beauftragten lässt sich eine doppelte Überlegung anstellen. Gregor sagt nämlich, die Dienenden seien zahlreicher als die vor dem Thron Stehenden. Er versteht den Salz: ,,Tausendmal tausend dienten Ihm" nicht im Sinn der Vervielfachung, sondern der Teilung, wie wenn es hieße: ,,Tausend aus der Anzahl der Tausende." Und so wird die Anzahl der Dienenden als unbegrenzt angenommen, zur Andeutung des Übermaßes; die Anzahl der vor dem Thron Stehenden dagegen als begrenzt, da beigefügt wird: ,,Und zehntausendmal hunderttausend standen vor ihm." Diese Auffassung geht aus von der Anschauung der Platoniker, die da sagten:

Je mehr etwas dem einen ersten Ursprung näher ist, um so geringer ist es an Zahl, wie eine Zahl um so kleiner ist, je näher sie der Eins steht. Und diese Auffassung rechtfertigt sich bezüglich der Zahl der Chöre, da sechs von ihnen im Dienste und drei vor dem Thron stehen.

Dionysius nimmt dagegen an, dass die Zahl der Engel jede zählbare Menge übersteigt; wie nämlich die Himmelskörper alle niederen Körper der Größe nach gleichsam ins Ungemessene übersteigen, so übersteigen die höheren, unkörperlichen Naturen in ihrer Anzahl alle körperlichen Naturen, weil, was besser ist, von Gott mehr beabsichtigt und vervielfacht ist. Und da dieser Auffassung zufolge die, die vor dem Thron sind, höher stehen als die Dienenden, so sind es mehr vor dem Thron Stehende als Dienende. Danach wird der Ausdruck ,,Tausende von Tausenden" im Sinne der Vervielfachung gelesen, wie wenn es hieße: ,,Tausendmal tausend". Und weil zehnmal hundert gleich tausend ist, so würde mit dem Ausdruck: zehnmal hunderttausend zu verstehen gegeben, dass es so viele vor dem Thron Stehende sind wie Dienende. Weil es aber heißt: Zehntausendmal hunderttausend, so wird damit gesagt, dass viel mehr vor dem Thron stehen als dienen. — Doch soll damit nicht gesagt sein, dass die Zahl der Engel nur so groß wäre, sondern sie ist viel größer, denn sie übersteigt jede zählbare Menge. Das wird angedeutet durch die Vervielfachung der Großzahlen mit sich selbst, des Zehners, Hunderters und Tausenders, wie Dionysius sagt.

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113. FRAGE

VOM BESCHÜTZERAMT DER GUTEN ENGEL

Hierauf ist der Schutz von Seiten der guten Engel zu betrachten und die Bedrängung von Seiten der bösen. Zum ersten ergeben sich acht Einzelfragen:
1. Werden die Menschen von Engeln beschützt?
2. Sind den einzelnen Menschen einzelne Engel zum Schutz zugewiesen?
3. Obliegt der Schutz ausschließlich dein letzten Chor der Engel?
4. Kommt es jedem Menschen zu, einen Schutzengel zu haben?
5. Wann der Schutz des Engels für den Menschen beginnt.
6. Beschützt der Engel immerfort den Menschen?
7. Trauert er über den Verlust des Beschützen?
8. Ist unter den Engeln ein Kampf um des Schutzes. willen?

1. ARTIKEL

Werden die Menschen von den Engeln beschützt?

1. Beschützer werden einigen zugewiesen, weil sie entweder sich selbst nicht zu schützen verstehen oder dazu nicht imstande sind; so den Kindern und Schwachen. Der Mensch aber ist imstande, sich zu schützen, auf Grund seiner freien Selbstbestimmung, und er versteht es [sich zu schützen], auf Grund der natürlichen Erkenntnis des Naturgesetzes. Also wird er nicht beschützt vom Engel.

2. Wo ein stärkerer Schutz vorhanden ist, dort scheint ein schwächerer Schutz überflüssig. Die Menschen aber werden beschützt von Gott: ,,Es schlummert und schläft nicht, der Israel beschützt" (Ps 121 [120],4). Also ist es nicht notwendig, dass der Mensch vorn Engel beschützt werde.

3. Der Verlust des Beschützten geht zurück auf eine Nachlässigkeit des Beschützers. Darum wird (3 Kön 20,39) einer beauftragt: ,,Beschütze diesen Mann; wenn er fällt, haftet deine Seele für die seine". Es gehen aber viele Menschen täglich verloren durch den Sturz in die Sünde, denen die Engel helfen könnten, entweder durch sichtbaren Schutz oder durch Wirken von Wundern oder auf eine andere ähnliche Art. Demnach wären die Engel nachlässig, wenn ihrem Schutz die Menschen anvertraut wären, was offensichtlich falsch ist. Also sind die Engel nicht Beschützer der Menschen.

ANDERSEITS heißt es im Psalm (91 (90],11): ,,Er hat Seinen Engeln deinetwegen befohlen, dass sie dich beschützen auf allen deinen Wegen."

ANTWORT: Nach dem Plan der göttlichen Vorsehung findet sich dies [Gesetz] in allen Dingen, dass das Bewegliche und Veränderliche durch das Unbewegliche und Unveränderliche bewegt und geleitet wird; so wie die körperlichen durch die geistigen, unbeweglichen Selbstandwesen, und die niederen Körper durch die höheren, welche ihrem Wesen nach unveränderlich sind. Aber auch wir werden bei den Schlussfolgerungen, bei denen man verschieden vorgehen kann, durch Ursätze geleitet, die wir unveränderlich festhalten. — Es ist aber offensichtlich, dass bei dem, was zu tun ist, Verstand und Gefühl des Menschen sich mannigfach ändern und vom Guten abfallen können. Darum war es notwendig, dass den Menschen Engel zum Schutz zugewiesen wurden, durch die sie geleitet und zum Guten angetrieben werden sollten.

Zu 1. Vermöge der freien Selbstbestimmung kann der Mensch einigermaßen das Böse meiden, aber nicht ausreichend, weil der Wille zum Guten durch mannigfache Leidenschaften der Seele geschwächt wird. Desgleichen leitet die allgemeine Erkenntnis des Naturgesetzes, die dem Menschen von Natur aus innewohnt, diesen einigermaßen zum Guten, aber wiederum nicht ausreichend, denn bei der Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf die Einzelfälle kann der Mensch mannigfach versagen. Darum heißt es in Weish. 9,14: ,,Die Gedanken der Sterblichen sind furchtsam und unsere Vorsorge unsicher." Und deshalb bedarf der Mensch des Schutzes der Engel.

Zu 2. Zum Vollbringen des Guten sind zwei Stücke erforderlich. Einmal, dass der Wille zum Guten geneigt wird, und das geschieht in uns durch das Gehaben der sittlichen Tugend. Sodann, dass die Vernunft passende Umwege finde, um das Gut der Tugend zu vollbringen, was der Philosoph der Klugheit zuweist. Was nun das erste anlangt, so beschützt Gott den Menschen unmittelbar, indem Er ihm Gnaden und Tugenden eingießt. Was das zweite anlangt, so bewacht Gott den Menschen als allgemeiner Lehrer, dessen Unterweisung durch Vermittlung der Engel zum Menschen hinab gelangt (111, 1).

Zu 3. Wie die Menschen vor dem natürlichen Gefühl für das Gute fliehen wegen der Leidenschaft der Sünde, so fliehen sie auch vor der Anspornung der guten Engel, welche unsichtbar dadurch erfolgt, dass sie die Menschen erleuchten zur guten Tat. Wenn darum Menschen verloren gehen, so ist das nicht der Nachlässigkeit der Engel zuzuschreiben, sondern der Bosheit der Menschen. Dass sie aber bisweilen mit Umgebung des allgemeinen Gesetzes den Menschen sichtbar erscheinen, das kommt von einer besonderen Gnade Gottes, wie auch die Wunder mit Umgehung der Naturordnung geschehen.

2. ARTIKEL

Werden die einzelnen Menschen von einzelnen Engeln geschützt?

1. Der Engel ist fähiger als der Mensch. Nun genügt aber ein Mensch zum Schutz vieler Menschen. Also kann um so mehr ein Engel viele Menschen beschützen.

2. Das Niedere wird zu Gott zurückgeführt durch das Höhere, wie Dionysius sagt. Da aber alle Engel ungleich sind (50, 4), so ist es nur ein Engel [nämlich der unterste], zwischen dem und den Menschen keiner dazwischensteht. Also ist es nur ein Engel, der unmittelbar die Menschen beschützt.

3. Höhere Engel sind für höhere Ämter bestimmt. Es ist aber kein höheres Amt, diesen Menschen zu beschützen, als jenen, da alle Menschen von Natur aus gleich sind. Da nun von allen Engeln einer höher ist als der andere (Dionysius), so scheint es, dass die verschiedenen Menschen nicht von verschiedenen Engeln beschützt werden.

ANDERSEITS erklärt Hieronymus in Mt 18,10: ,Ihre Engel im Himmel [sehen allezeit das Antlitz Meines Vaters]‘ mit den Worten: ,,So groß ist die Würde der Seele, dass eine jede von Geburt an einen Engel zu ihrem Schutz zugewiesen erhält."

ANTWORT: Man muss sagen, dass den einzelnen Menschen einzelne Engel zum Schutz zugewiesen werden. Der Grund hiefür liegt darin, dass der Schutz von Seiten der Engel [nichts anderes als] eine bestimmte Ausführung der göttlichen Vorsehung in bezug auf die Menschen darstellt.

Die Vorsehung Gottes aber verhält sich anders zu den Menschen und anders zu den andern vergänglichen Geschöpfen, weil sie [die Menschen] sich anders zur Unvergänglichkeit verhalten. Die Menschen sind nämlich nicht nur unvergänglich bezüglich ihrer gemeinsamen Art, sondern auch bezüglich der Eigenformen der Einzelnen, die vernunftbegabte Seelen sind, was von den andern vergänglichen Dingen nicht gesagt werden kann. Offensichtlich befasst aber die Vorsehung Gottes sich hauptsächlich mit dem, was ewig bleibt; mit dem aber, was vorübergeht, befasst sich die Vorsehung Gottes [nur], insofern sie dieses auf die ewigen Dinge hinordnet. So hat also die Vorsehung Gottes zu den einzelnen Menschen dieselbe Beziehung wie zu den einzelnen Gattungen oder Arten der unvergänglichen Dinge. Nach Gregor aber sind die verschiedenen Chöre den verschiedenen Gattungen der Wesen zugeordnet, so die ,Mächte‘ zur Fernhaltung der bösen Geister, die ,Kräfte‘ zum Wirken von Wundern in der körperlichen Natur. Und es ist wahrscheinlich, dass den verschiedenen Arten von Dingen verschiedene Engel desselben Chores vorgesetzt sind. Darum ist es auch sinnvoll, dass den verschiedenen Menschen verschiedene Engel zum Schutz zugewiesen sind.

Zu 1. Einem Menschen wird ein Beschützer auf doppelte Weise beigegeben. *Einmal, sofern er Einzelmensch ist, und so gebührt jedem Menschen ein Schutzengel, und bisweilen sind mehrere Engel zum Schulz eines einzigen Menschen bestimmt. *Zweitens, sofern der Mensch Teil einer Gemeinschaft ist, und so wird der ganzen Gemeinschaft ein Mensch zum Schutz vorangestellt, dessen Aufgabe es ist, für das zu sorgen, was den einzelnen in seiner Hinordnung auf die ganze Gemeinschaft betrifft, und zwar in bezug auf das, was nach außen hin geschieht, worüber andere sich erbauen oder Anstoß nehmen. Der Schutz der Engel aber wird den Menschen gegeben auch in bezug auf das Unsichtbare und Verborgene, was das Heil des einzelnen Menschen für sich selbst betrifft. Darum sind den einzelnen Menschen einzelne Engel zum Schutz zugewiesen.

Zu 2. Die Engel der ersten Rangfolge werden in manchen Stücken alle unmittelbar von Gott erleuchtet (112, 3: Zu 4); doch gibt es einiges, worüber ausschließlich die höheren Engel unmittelbar von Gott erleuchtet werden, was sie dann den niederen enthüllen. Dasselbe ist auch bei den niederen Chören zu beachten. Denn irgendeiner von den niedersten Engeln wird in bezug auf einiges vom höchsten Engel erleuchtet, und in bezug wieder auf anderes von dem ihm unmittelbar übergeordneten. Und so ist es sogar möglich, dass ein [höherer] Engel unmittelbar einen Menschen erleuchtet, trotzdem er einige Engel unter sich bat, die er erleuchtet.

Zu 3. Obgleich die Menschen von Natur aus gleich sind, findet sich doch Ungleichheit in ihnen, insofern einige aus göttlicher Vorsehung zu Höherem bestimmt werden und andere zu Geringerem; nach Sir 33,11f.: ,,Der Herr hat mit vieler Weisheit sie von einander geschieden; einige von ihnen hat Er gesegnet und erhoben, andere hat Er verflucht und erniedrigt". Und so ist es ein höheres Amt, diesen Menschen zu beschützen, als jenen.

3. ARTIKEL

Ist der Schutz der Menschen ausschließlich Aufgabe des untersten Chores?

1. Chrysostomus sagt, dass Mt 18,10 ,Ihre Engel im Himmel‘ usw. ,,nicht von allen beliebigen Engeln verstanden wird, sondern von den hocherhabenen". Also beschützen die hocherhabenen Engel die Menschen.

2. Der Apostel sagt im Hebräerbrief 1,14: Die Engel sind ,,zum Dienste ausgesandt um derentwillen, die das Erbe des Heils erlangen"; demnach scheint es, dass die Aussendung der Engel auf den Schutz der Menschen hingeordnet ist. Nun aber werden fünf Chöre zum äußeren Dienst ausgesandt (112, 4). Also sind alle Engel der fünf Chöre zum Schutz der Menschen bestimmt.

3. Für den Schutz der Menschen scheint es vor allem notwendig zu sein, die bösen Geister fernzuhalten, was nach Gregor Aufgabe der ,Mächte‘ ist, und Wunder zu wirken, was Aufgabe der ,Kräfte‘ ist. Also werden auch diese Chöre zum Schutz ausgesandt und nicht nur der unterste.

ANDERSEITS wird im Psalm [91 (90),11] der Schutz der Menschen den Engeln zugeschrieben, deren Chor der unterste ist (Dionysius).

ANTWORT: Wie oben (Art. 2, Zu 1) gesagt, wird den Menschen doppelter Schutz erwiesen. Zunächst der besondere Schutz, insofern den einzelnen Menschen je ein Engel zum Schutz beigegeben wird. Und dieser Schutz ist Sache des untersten Chores der Engel, deren Aufgabe es nach Gregor ist, das am wenigsten Wichtige zu künden. Das scheint aber die geringste unter den Aufgaben der Engel zu sein, sich um das zu kümmern, was zum Heil eines einzigen Menschen gehört. — Ein anderer ist der Schutz über das Gesamt, und dieser vervielfacht sich nach den verschiedenen Chören, denn je umfassender eine Ursache ist, um so höher steht sie. So ist also der Schutz der gesamten Menschheit Sache des Chores der ,Fürstentümer‘ oder auch der Erzengel, welche ,fürstliche Engel‘ genannt werden; darum wird auch Michael, den wir Erzengel heißen, ,,einer aus den Fürsten" genannt (Dan 10,13). Weiterhin aber haben die ,Kräfte‘ das Schützeramt über alle körperlichen Naturen. Ferner haben die ,Mächte‘ die Aufsicht über die bösen Geister. Die ,Herrschaften‘ endlich oder die ,Fürstentümer‘ üben, Gregor zufolge, das Schützeramt aus über die guten Geister.

Zu 1. Das Wort Chrysostomus‘ kann dahin verstanden werden, das er von den höchsten Wesen im untersten Chor der Engel spricht, weil es nach Dionysius in jedem Chor Erste, Mittlere und Letzte gibt. Es ist nun wahrscheinlich, dass die höheren Engel zum Schutze derer bestimmt sind, die von Gott zu höherer Stufe der Herrlichkeit auserwählt sind.

Zu 2. Nicht alle Engel, die ausgesandt werden, haben ein besonderes Schützeramt über die einzelnen Menschen, sondern einige Chöre haben ein mehr oder weniger umfassendes Schützeramt (Antw.).

Zu 3. Auch die niederen Engel üben die Ämter der höheren aus, insofern sie in etwa an deren Gaben teilhaben und zu den höheren sich verhalten wie die Vollstrecker ihrer Gewalt. Und auf diese Weise können auch die Engel des untersten Chores böse Geister fernhalten und Wunder wirken.

4. ARTIKEL

Sind allen Menschen Engel zum Schutz zugewiesen?

1. Von Christus heißt es in Phil 2,7: ,,Er ward den Menschen gleich und wurde in Seinem Äußeren als ein Mensch erfunden." Wenn also allen Menschen Engel zum Schutz zugewiesen sind, dann hätte auch Christus einen Schutzengel gehabt. Das scheint aber nicht in der Ordnung, da Christus höher ist als alle Engel. Also sind nicht allen Menschen Engel zum Schutz zugewiesen.

2. Der erste aller Menschen war Adam. Ihm aber kam es nicht zu, einen Schutzengel zu haben, wenigstens nicht im Stand der Unschuld, weil er dort von keinen Gefahren bedroht wurde. Also sind die Engel nicht allen Menschen zum Schutze vorgesetzt.

3. Den Menschen sind Engel zum Schutz zugewiesen, damit sie durch diese zum ewigen Leben geführt, zum guten Wirken angespornt und gegen die Angriffe der bösen Geister bewahrt würden. Die Menschen aber, die nach Gottes Vorherwissen verdammt werden, gelangen niemals zum ewigen Leben. Und die Ungläubigen, wenn sie auch bisweilen gute Werke wirken, tun diese doch nicht [immer] recht, weil sie nicht [immer] aus rechter Absicht handeln, denn: ,,Der Glaube leitet die Absicht" (Augustinus). Ferner wird die Ankunft des Antichrist ,,in der Kraft Satans" erfolgen (2 Thess 2,9). Also sind nicht allen Menschen Engel zum Schutze zugewiesen.

ANDERSEITS steht die oben angeführte Stelle aus Hieronymus dagegen, welcher sagt: ,,Eine jede Seele bekommt zu ihrem Schutz einen Engel zugewiesen.

ANTWORT: Der Mensch, der sich im Stande dieses Lebens befindet, ist gleichsam auf dem Weg, auf dem er der Heimat entgegenwandert. Auf diesem Weg drohen dem Wanderer viele Gefahren, sowohl von innen wie von außen, nach Ps 142 (141),4: ,,Auf dem Weg, auf dem ich wandelte, haben sie mir eine verborgene Schlinge gelegt." Und wie den Menschen, die auf unsicheren Wegen wandeln, Beschützer beigegeben werden, so wird auch jedem Menschen, solange er Wanderer ist, ein Schutzengel zugewiesen; wenn er aber am Ende des Weges angelangt ist, dann wird er keinen Schutzengel mehr haben, sondern er wird im Reiche den mit ihm herrschenden Engel, in der Hölle den strafenden Teufel zur Seite haben.

Zu 1. Christus, sofern er Mensch war, wurde unmittelbar geleitet vom WORTE Gottes, darum bedurfte Er des Schutzes der Engel nicht. Der Seele nach war Er in der Schau [Gottes]; aber in bezug auf die Leidensfähigkeit des Leibes war er Pilger. Und demzufolge gebührte Ihm kein Schutzengel als Oberer, sondern eher ein dienender Engel als Untergebener. Darum heißt es in Mt 4,11: ,,Engel traten herzu und dienten Ihm."

Zu 2. Der Mensch erfuhr im Stande der Unschuld keine Gefahr von innen her, weil innen alles geordnet war (95, 1 u. 3). Es drohten ihm aber Gefahren von außen wegen der Nachstellungen der bösen Geister, wie der Ausgang der Sache bewiesen hat. Und darum bedurfte er des Schutzes der Engel.

Zu 3. Wie die, von denen Gott voraussieht [, dass sie verdammt werden], und die Ungläubigen und auch der Antichrist nicht ohne die innere Hilfe der natürlichen Vernunft sind, so sind sie auch nicht ohne die äußere Hilfe, die dem ganzen Menschengeschlecht von Gott gewährt ist, nämlich ohne den Schutz der Engel. Durch diesen Schutz wird ihnen zwar nicht geholfen, durch gute Werke das eigene Leben zu verdienen, es wird ihnen aber dadurch geholfen, dass sie von manchem Übel zurückgehalten werden, wodurch sie sich selbst und andern schaden könnten. Denn auch die bösen Geister selbst werden durch die guten Engel gehindert, dass sie nicht schaden können, so viel sie wollen. Und desgleichen wird auch der Antichrist nicht so viel Schaden anrichten, wie er wohl möchte.

5. ARTIKEL

Wird der Engel dem Menschen von dessen Geburt an zum Schutze zugewiesen?

1. Die Engel sind zum Dienste ausgesandt ,,um derentwillen, die das Erbe des Heiles erlangen" (Hebr 1, 14). Die Menschen aber beginnen das Erbe des Heiles zu erlangen, wenn sie getauft werden. Also wird der Engel dem Menschen zu seinem Schutz zugewiesen von der Zeit der Taufe und nicht von der Zeit der Geburt an.

2. Die Menschen werden von den Engeln beschützt, insofern sie von den Engeln durch Belehrung erleuchtet werden. Die eben geborenen Kinder aber sind der Belehrung noch nicht fähig, weil sie den Gebrauch der Vernunft noch nicht haben. Also werden den neugeborenen Kindern keine Schutzengel zugewiesen.

3. Die Kinder im Mutterleihe haben die vernunftbegabte Seele einige Zeit [vor der Geburt], genau so wie nach der Geburt aus dem Mutterleib. Solange sie aber im Mutterleib sind, sind ihnen, wie es scheint, keine Engel zum Schutze zugewiesen, weil auch die Diener der Kirche sie nicht mit den Sakramenten versehen. Also werden den Menschen nicht gleich von der Geburt an Engel zum Schutze zugewiesen.

ANDERSEITS sagt Hieronymus: ,,Eine jede Seele bekommt von ihrer Geburt an einen Engel zu ihrem Schutze zugewiesen.

ANTWORT: Wie Origenes sagt, gibt es darüber eine doppelte Auffassung. Einige haben nämlich gesagt, dass der Engel dem Menschen von der Zeit seiner Taufe an zugewiesen sei. Wieder andere: von der Zeit der Geburt an. Diese Auffassung bestätigt Hieronymus, und zwar mit guten Gründen. Denn die Wohltaten, die den Menschen von Gott gegeben werden, weil er Christ ist, beginnen von der Zeit der Taufe an; so der Empfang der Eucharistie und Ähnliches. Was aber dem Menschen von Gott zugedacht ist, sofern er eine vernunftbegabte Natur besitzt, wird ihm von dem Augenblicke an gewährt, wo er durch die Geburt diese Natur empfängt. Und zu diesen Wohltaten gehört der Schutz von Seiten der Engel (Art. 1 u. 4). Darum erhält sogleich von der Geburt an der Mensch einen Engel zu seinem Schutz zugewiesen.

Zu 1. Die Engel werden zum Dienste ausgesandt, und zwar mit Erfolg nur um deretwegen, ,,die das Erbe des Heiles erlangen" — wenn man die letzte Wirkung des Schutzes betrachtet, nämlich die Erlangung des Erbes. Nichtsdestoweniger wird auch den andern der Dienst der Engel nicht entzogen, wenn er auch bei diesen nicht diesen Erfolg hat, dass sie zum Heil geführt werden. Allerdings ist [auch] bei diesen der Dienst der Engel wirksam, sofern sie von vielem Bösen zurückgehalten werden [Art. 4 Zu 3; vgl. auch Art. 1 Zu 3].

Zu 2. Das Schützeramt ist zwar auf die Erleuchtung durch Belehrung hingeordnet als auf die letzte und hauptsächlichste Wirkung. Trotzdem hat es viele andere Wirkungen , die den Kindern zugute kommen, so die Fernhaltung der bösen Geister und die Verhinderung anderer körperlicher und geistiger Schäden.

Zu 3. Das Kind ist, solange es im mütterlichen Leibe weilt, nicht gänzlich von der Mutter getrennt, sondern es ist durch eine Art von Verbindung gleichsam noch ein Teil von ihr, wie die am Baum hängende Frucht ein Teil des Baumes ist. Und darum lässt sich mit Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Schutzengel der Mutter auch das im Mutterleibe liegende Kind beschützt. Doch bei der Geburt, wenn es von der Mutter getrennt wird, wird ihm ein Engel zum Schutze zugewiesen, wie Hieronymus sagt.

6. ARTIKEL

Lässt der Schutzengel bisweilen den Menschen im Stich?

1. In Jer 51,9 heißt es aus dem Mund der Engel: ,,Wir haben Babylon betreut, und es ward nicht geheilt; lassen wir es im Stich!" Und Jes 5,5: ,,Ich will die Mauer [des Weinbergs] niederreißen, auf dass er zertreten werde"; dazu bemerkt die Glosse: ,,[Die Mauer,] das ist der Schutz der Engel."

2. Gott schützt mehr als der Engel. Gott aber verlässt bisweilen einen Menschen: ,,Gott, mein Gott, schau auf mich, warum hast Du mich verlassen?" (Ps 22 [21],1). Um vieles mehr also lässt [bisweilen] der Schutzengel den Menschen im Stich.

3. Johannes von Damaskus sagt: ,,Wenn die Engel hier bei uns sind, sind sie nicht im Himmel." Bisweilen aber sind sie im Himmel. Also lassen sie uns bisweilen im Stich.

ANDERSEITS: Die bösen Geister befehden uns unaufhörlich: ,,Der Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein nach Beute brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge" (1 Petr 5,8). Also beschützen uns noch viel mehr die guten Engel jeden Augenblick.

ANTWORT: Der Schutz von Seiten der Engel ist, wie aus dem oben (Art 2) Gesagten erhellt, eine Art Vollzug der göttlichen Vorsehung bei den Menschen. Offenbar ist aber weder der Mensch noch irgendein anderes Geschöpf der göttlichen Vorsehung gänzlich entzogen; insoweit ein Ding nämlich am Sein teilnimmt, insoweit ist es der alle Dinge umfassenden Vorsehung unterworfen. Von Gott aber heißt es, auf Grund Seiner Vorsehung, nur insoweit, lasse Er einen Menschen im Stich, als Er zulässt, dass der Mensch irgendwie leidet, sei es durch Schuld oder durch Strafe. — Desgleichen ist zu sagen, dass auch der Schutzengel den Menschen nie ganz aufgibt, sondern in gewisser Hinsicht überlässt er ihn zuweilen sich selbst, insofern er nicht hindert, dass der Mensch nach der Anordnung der göttlichen Gerichte in Trübsal hineingerät oder in Sünde fällt. Und in diesem Sinne heißt es von Babylon und vom Hause Israel, sie seien von den Engeln im Stich gelassen, weil deren Schutzengel nicht hinderten, dass sie ins Unglück gerieten.

Und daraus ergibt sich die Lösung Zu 1. und Zu 2.

Zu 3. Wenn auch der Engel bisweilen den Menschen dem Orte nach verlässt, so lässt er ihn doch nicht im Stich, was die Wirkungen des Schutzes anbetrifft. Denn auch, wenn er im Himmel ist, weiß er, was mit dem Menschen geschieht; auch braucht er zur örtlichen Bewegung keine Zeit, sondern er kann sofort zur Stelle sein.

7. ARTIKEL

Sind die Engel in Trauer wegen des Unglücks ihrer Schützlinge?

1.In Jes 33,7 heißt es: ,,Die Engel des Friedens werden bitterlich weinen." Das Weinen aber ist ein Zeichen des Schmerzes und der Trauer. Also sind die Engel in Trauer über das Unglück ihrer Schützlinge.

2. Die Traurigkeit betrifft nach einem Wort Augustins das, ,,was uns gegen unseren Willen zustößt". Der Untergang eines Schützlings aber ist gegen den Willen des Schutzengels. Also sind die Engel in Trauer über den Untergang der Menschen.

3. Wie der Freude die Traurigkeit entgegengesetzt ist, so der Buße die Sünde. Die Engel aber ,,freuen sich über einen Sünder, der Buße tut" (Lk 15,7). Also sind sie in Trauer über einen Gerechten, der in Sünde fällt.

4. Zu Num 18,12 ,Was sie anbieten an Erstlingsgaben [, das gebe Ich dir]‘ bemerkt die Glosse des Origenes:

,,Die Engel werden vor Gericht gezogen, ob sie [die Menschen] durch ihre [der Engel] eigene Nachlässigkeit oder durch die Feigheit der Menschen gefallen sind." Ein jeder aber trauert mit Recht über das Böse, dessentwegen er vor Gericht gezogen wird. Also empfinden die Engel Trauer über die Sünden der Menschen.

ANDERSEITS: Wo Trauer und Schmerz, ist kein vollkommenes Glück. Darum heißt es in Offb 21,4: ,,Der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Klage, noch Schmerz." Die Engel aber sind vollkommen selig. Also empfinden sie über nichts Trauer.

ANTWORT: Die Engel trauern weder über die Sünde noch über die Strafe der Menschen. Denn Trauer und Schmerz betreffen, Augustinus zufolge, nur das, was dem Willen zuwider ist. Es geschieht jedoch nichts in der Welt, was dem Willen der Engel und der anderen Seligen zuwider wäre, weil ihr Wille gänzlich in der Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit aufgeht. Nun geschieht aber nichts in der Welt, was nicht durch die göttliche Gerechtigkeit geschieht oder zugelassen wird. Und darum geschieht schlechthin nichts in der Welt gegen den Willen der Seligen. Wie nämlich der Philosoph sagt, heißt das schlechthin ,gewollt‘, was einer im besonderen, tatsächlich sich ereignenden Einzelfall will, unter Berücksichtigung aller Umstände, obgleich es, allgemein betrachtet, nicht gewollt wäre; so will der Seefahrer, schlechthin und allgemein gesprochen, nicht, dass die Schiffsladung ins Meer versenkt werde; doch wenn Lebensgefahr droht, will er es. Darum ist das mehr freiwillig als unfreiwillig, wie es ebendort [beim Philosophen] heißt. So wollen denn die Engel die Sünden und Strafen der Menschen, allgemein und schlechthin gesprochen, nicht; sie wollen aber, dass dabei die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit gewahrt werde, der zufolge manche Menschen Strafen unterworfen und der Sünde überantwortet werden.

Zu 1. Das Jesajaswort kann man auch von den Engeln, d.h. ,,Boten‘, des Ezechias verstehen, die da weinten wegen der Worte des Rapsakes, Jes 37,2ff.; dies ist der buchstäbliche Sinn. — Doch als Vorbild gefasst sind die ,Engel des Friedens‘ die Apostel und Prediger, die da weinen über die Sünden der Menschen. — Wenn man es aber im ,höherführenden‘ Sinne von den guten Engeln deutet, dann liegt übertragene Redeweise, um zu bedeuten, dass die Engel im allgemeinen das Heil der Menschen wollen. In diesem Sinne werden Gott und den Engeln derartige ,Leidenschaften‘ zugeschrieben.

Zu 2. erhellt die Lösung aus dem Gesagten.

Zu 3. Sowohl bei der Buße wie auch bei der Sünde der Menschen bleibt den Engeln wenigstens ein Grund zur Freude, nämlich die Erfüllung der Ordnung der göttlichen Vorsehung.

Zu 4. Die Engel werden für die Sünden der Menschen vor Gericht geladen, nicht als Angeklagte, sondern als Zeugen, um die Menschen ihrer Feigheit zu überführen.

8. ARTIKEL

Kann unter den Engeln Kampf oder Zwietracht sein?

1. In Job 25,2 heißt es: ,,Er schafft Eintracht bei den Erhabenen." Kampf aber ist der Eintracht entgegen. Also gibt es bei den erhabenen Engeln keinen Kampf.

2. Wo vollkommene Gottesliebe und gerechte Rangordnung walten, kann kein Kampf sein. Das alles aber findet sich bei den Engeln. Also gibt es unter den Engeln keinen Kampf.

3. Wenn es von den Engeln heißt, sie kämpfen für ihre Schützlinge, so muss notwendig der eine Engel den einen Teil begünstigen, der andere den andern Teil. Wenn nun der eine Teil im Recht ist, so steht der andere Teil dagegen im Unrecht. Also folgt, dass ein guter Engel das Unrecht begünstigt, was nicht angeht. Also gibt es unter den guten Engeln keinen Kampf.

ANDERSEITS heißt es in Dan 10,13 aus dem Mund Gabriels: ,,Der Fürst des Reiches der Perser widerstand mir einundzwanzig Tage lang." Hier war der ,Fürst der Perser‘ ein dem Reich der Perser zum Schutz zugewiesener Engel. Also hat ein Engel dem andern widerstanden. Also gibt es unter ihnen Kampf.

ANTWORT: Diese Frage wird bei Gelegenheit obiger Worte Daniels aufgeworfen. Nach der Erklärung des Hieronymus ist der ,Fürst des Reiches der Perser‘ ein Engel, der sich der Befreiung des israelitischen Volkes, für die Daniel betete, widersetzt hat, während Gabriel dessen Bitte Gott darbrachte. Dieser Widerstand war möglich, weil ein Fürst der bösen Geister die nach Persien verschleppten Juden zur Sünde verleitet hatte, wodurch das Gebet Daniels, der für dasselbe Volk flehte, in seiner Wirkung beeinträchtigt wurde.

Nach Gregor aber war der ,Fürst des Reiches der Perser‘ ein dem Schutz jenes Reiches zugewiesener guter Engel. Um also zu sehen, in welchem Sinne gesagt wird, ein Engel widerstehe dem andern, ist zu beachten, dass die göttlichen Gerichte über verschiedene Reiche und verschiedene Menschen durch die Engel ausgeführt werden. In dieser ihrer Tätigkeit nun lassen sich die Engel von dem göttlichen Urteilsspruch leiten. Es kommt aber bisweilen vor, dass bei verschiedenen Reichen oder verschiedenen Menschen Verdienst und Missverdienst, auf Grund deren einer dem andern untergeben oder übergeordnet ist, einander widersprechen. Was aber die Ordnung der göttlichen Weisheit dazu sagen mag, können sie nicht erkennen, außer wenn Gott es ihnen offenbart; darum müssen sie notwendig die Weisheit Gottes darüber befragen. So sagt man denn, sofern sie über gegensätzliche und einander widerstreitende Verdienste den göttlichen Willen befragen, sie widerstehen einander, nicht, als ob ihre Willensverfassung einander entgegengesetzt wäre, da darin alle übereinstimmen, dass Gottes Urteilsspruch vollzogen werde, sondern weil die Angelegenheiten, worüber sie Rat einholen, einander widersprechen.

Und daraus ergibt sich die Lösung der Einwände.

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114. FRAGE

VON DER ANFECHTUNG DER BÖSEN GEISTER

Hierauf ist die Anfechtung der bösen Geister zu betrachten. Dazu ergeben sich fünf Einzelfragen:
1. Werden die Menschen von den bösen Geistern angefochten?
2. Ist es allein dem Teufel eigen, in Versuchung zu führen?
3. Kommen alle Sünden der Menschen aus der Anfechtung oder Versuchung der bösen Geister?
4. Können sie echte Wunder wirken, um zu verführen?
5. Werden die bösen Geister, die von Menschen besiegt werden, an der [weiteren] Anfechtung der Menschen gehindert?

1. ARTIKEL

Werden die Menschen von den bösen Geistern angefochten?

1. Die Engel sind, von Gott gesandt, zum Schutz der Menschen beauftragt. Die bösen Geister aber werden nicht von Gott gesandt, da es die Absicht der bösen Geister ist, Seelen zu verderben, Gottes Absicht aber, Seelen zu retten. Also sind die bösen Geister nicht zur Anfechtung der Menschen bestimmt.

2. Wenn ein Schwacher gegen einen Starken, ein Unkundiger gegen einen Listigen dem Kampf ausgesetzt wird, sind die Kampfbedingungen ungleich. Die Menschen aber sind schwach und ahnungslos, die bösen Geister stark und listig. Gott, der Urheber der Gerechtigkeit, darf es also nicht zulassen, dass die Menschen von den bösen Geistern angefochten werden.

3. Zur Bewährung der Menschen genügt die Anfechtung des Fleisches und der Welt. Gott aber lässt gerade um ihrer Bewährung willen zu, dass seine Auserwählten angefochten werden. Also scheint es nicht notwendig, dass sie von den bösen Geistern angefochten werden.

ANDERSEITS sagt der Apostel: ,,Nicht geht unser Kampf gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die ,Fürsten‘ und ,Mächte‘, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister unter dem Himmel" (Eph 6,12).

ANTWORT: Zur Anfechtung Von Seiten der bösen Geister sind zwei Stücke zu beachten die Anfechtung selbst und die Ordnung der Anfechtung. Die Anfechtung selbst gebt aus der Bosheit der bösen Geister hervor, die aus Neid den [geistigen] Fortschritt der Menschen zu hindern sich anstrengen und aus Hochmut sich ein Gaukelspiel göttlicher Macht anmaßen, indem sie sich bestimmte Diener bestellen zur Anfechtung der Menschen, wie auch die Engel in bestimmten Ämtern Gott dienen zum Heile der Menschen. Die Ordnung der Anfechtung dagegen ist von Gott, der sich des Übels sinnvoll zu bedienen weiß, indem Er es zum Guten wendet. — Von Seiten der Engel aber wird sowohl der Schutz selbst wie auch die Ordnung des Schutzes auf Gott zurückgeführt als auf den ersten Urheber.

Zu 1. Die bösen Engel fechten die Menschen doppelt an. *Einmal dadurch, dass sie diese zur Sünde reizen; in diesem Sinne werden sie von Gott nicht zur Anfechtung ausgesandt, sondern bisweilen lässt Gott das zu nach Seinen gerechten Gerichten. *Bisweilen aber bedrängen sie die Menschen durch Strafen. Und so werden sie von Gott ausgesandt, wie der Lügengeist ausgesandt wurde, um Achab, den König Israels, zu bestrafen (3 Kön 22,20ff.), denn die Strafe wird auf Gott zurückgeführt als auf ihren ersten Urheber. Und doch strafen die bösen Geister, die zum Bestrafen ausgesandt werden, in anderer Absicht, als sie gesandt werden; denn sie strafen aus Hass oder Neid, von Gott aber werden sie gesandt um Seiner Gerechtigkeit willen.

Zu 2. Damit die Kampfbedingungen nicht ungleich seien, erfolgt auf Seiten des Menschen ein Ausgleich, hauptsächlich durch die Hilfe der Gnade, in zweiter Linie durch den Schutz der Engel. Darum sagt Eliseus zu seinem Diener: ,,Fürchte dich nicht, mit uns sind mehr als mit jenen" (4 Kön 6,16).

Zu 3. Zur Bewährung würde der menschlichen Schwäche die Anfechtung von Seiten des Fleisches und der Welt genügen; für die Bosheit der bösen Geister aber, die sich beider bedient zur Anfechtung der Menschen, genügt sie nicht. Doch gereicht dies nach göttlicher Anordnung zur Verherrlichung der Auserwählten.

2. ARTIKEL

Ist es allein dem Teufel eigen, in Versuchung zu führen?

1. Von Gott heißt es, Er ,versuche‘; so in Gen 22,1: ,,Gott versuchte den Abraham." Auch das Fleisch und die Welt ,versuchen‘. Sogar der Mensch, sagt man, ,versucht‘ Gott und den Menschen. Also ist es den bösen Geistern nicht allein eigen, zu versuchen.

2. ,Versuchen‘ ist Angelegenheit eines unwissenden. Die bösen Geister aber wissen, was mit den Menschen geschieht. Also versuchen die bösen Geister nicht.

3. Die Versuchung ist ein Weg zur Sünde. Die Sünde aber steht im Willen. Da nun die bösen Geister den Willen des Menschen nicht beeinflussen können (111, 2), scheint es, dass ,versuchen‘ für sie nicht in Frage kommt.

ANDERSEITS heißt es 1 Thess 3,5: ,,... ob euch nicht vielleicht versucht habe, der da versucht"; dazu bemerkt die Glosse: ,,Das ist der Teufel, dessen Geschäft es ist, zu versuchen."

ANTWORT: ,Versuchen‘ im eigentlichen Sinne heißt, einen Versuch machen mit etwas. Man macht aber einen Versuch mit etwas, um darüber etwas zu erfahren, und darum ist das nächste Ziel eines jeden, der einen Versuch anstellt, das Wissen. Bisweilen aber sucht man darüber hinaus mittels des Wissens ein anderes Ziel zu erreichen, ein gutes oder schlechtes; ein gutes, wenn jemand wissen will, was für ein Mensch einer sei, sei es in bezug auf sein Wissen oder in bezug auf seine Tugend, um ihn zu fördern; ein schlechtes [Ziel], wenn er dies wissen will, um ihn zu täuschen oder zu verderben.

Daraus kann man entnehmen, wie ,versuchen‘ von verschiedenen auf verschiedene Weise ausgesagt wird. Es heißt vom Menschen nämlich bisweilen, er ,versuche‘, nur um zu wissen; darum ist ,Gott versuchen‘ eine Sünde weil der gleichsam in Ungewissheit schwebende Mensch sich anmaßt, Gottes Macht zu erproben. Bisweilen versucht jemand, um zu helfen, bisweilen um zu schaden. —Der Teufel aber versucht immer, um zu schaden, indem er andere in die Sünde stürzt. Und in diesem Sinne heißt ,versuchen‘ sein eigentliches Geschäft; denn wenn auch der Mensch bisweilen auf diese Weise jemand versucht, so tut er dies als Helfershelfer des Teufels. — Von Gott aber sagt man, Er versucht, um zu wissen; dabei ist mit ,wissen‘ gemeint ,andere wissend machen‘. Darum heißt es in Dtn 13,3: ,,Es versucht euch der Herr, euer Gott, damit offenbar werde, ob ihr Ihn liebt." — Auch das Fleisch und die Welt, sagt man, ,versuchen‘ als Werkzeug oder Anlass, insofern sich erkennen lässt, was jemand für ein Mensch sei, aus der Art, wie er den Lockungen des Fleisches nachgibt oder widersteht, und wie er Glück und Unglück der Welt verachtet, deren sich der Teufel ebenfalls bedient, um zu versuchen.

Und daraus ergibt sich die Lösung Zu 1.

Zu 2. Die bösen Geister wissen, was äußerlich bei den Menschen vor sich geht; die innere Veranlagung des Menschen dagegen kennt Gott allein, der ,,die Geister wägt" (Spr 16,2). Denn aus ihr heraus sind die Menschen zu dem einen Laster mehr geneigt als zu dem andern. Und darum ,versucht‘ der Teufel, indem er die innere Veranlagung des Menschen ausforscht, um dann den Menschen in dem Laster zu versuchen, zu dem er am meisten hinneigt.

Zu 3. Wenn auch der böse Geist den Willen des Menschen nicht [unmittelbar] beeinflussen kann (111, 3 u. 4), so kann er doch irgendwie die niederen Kräfte des Menschen beeinflussen, durch die der Wille des Menschen, wenn auch nicht genötigt, so doch gezogen wird.

3. ARTIKEL

Kommen alle Sünden aus der Versuchung des Teufels?

1. Dionysius sagt: ,,Die Menge der bösen Geister ist die Ursache aller Übel für sie selbst und für die andern." Und Johannes von Damaskus sagt: ,,Alle Bosheit und alle Unlauterkeit ist vom Teufel ausgedacht."

2. Von einem jeden Sünder könnte gesagt werden, was der Herr in Joh 8,44 von den Juden sagt: ,,Ihr stammt von eurem Vater, dem Teufel." Das trifft deshalb zu, weil sie auf Einflüsterung des Teufels hin sündigten. Also stammt jede Sünde aus der Einflüsterung des Teufels.

3. Wie die Engel zum Schutze der Menschen bestimmt werden, so die bösen Geister zur Anfechtung. Alles Gute aber, was wir tun, geht aus der Einflüsterung der guten Engel hervor, weil die göttlichen Gaben uns durch Vermittlung der Engel zugeleitet werden. Also kommt auch alles Böse, was wir tun, aus der Einflüsterung des Teufels.

ANDERSEITS heißt es im Buch ,Über die kirchlichen Dogmen‘: ,,Nicht alle bösen Gedanken werden vom Teufel angeregt, sondern bisweilen tauchen sie aus der Bewegung unseres freien Willens auf."

ANTWORT: Es kann etwas auf doppelte Weise Ursache für etwas anderes heißen: einmal unmittelbar, sodann mittelbar. *Mittelbar: nämlich wenn z.B. ein Wirkendes die Bereitschaft zu einer Wirkung verursacht, so wird es Anlass und mittelbare Ursache jener Wirkung genannt, wie wenn man sagt: wer Hölzer trocknet, ist Ursache ihrer Verbrennung. Und in diesem Sinne ist zu sagen, dass der Teufel Ursache aller unserer Sünden ist, weil er den ersten Menschen zum Sündigen verleitet hat, aus welcher Sünde dann im ganzen Menschengeschlecht eine Neigung zu allen Sünden folgte. Und so sind die angeführten Worte des Johannes von Damaskus und Dionysius zu verstehen.
*Unmittelbar dagegen heißt etwas Ursache von etwas, wenn es unmittelbar auf dieses andere einwirkt. Und in diesem Sinne ist der Teufel nicht Ursache jeder Sünde, denn nicht alle Sünden werden auf Anstiften des Teufels hin begangen, sondern manche aus freier Selbstbestimmung und Verderbnis des Fleisches. Denn, wie Origenes sagt, hätten die Menschen, auch wenn der Teufel nicht wäre, das Streben nach Speise und geschlechtlicher Lust und ähnliches, wobei, wenn dieses Streben nicht durch die Vernunft gezügelt wird, viel Unordnung vorkommt, die Verderbnis der Natur vorausgesetzt. Ein solches Streben aber zu zügeln, und zu ordnen untersteht der freien Selbstbestimmung. So ist es also nicht notwendig, dass alle Sünden vom Anreiz des Teufels kommen. Wenn jedoch irgendwelche Sünden vom Anreiz des Teufels kommen, so werden nach dem Worte Isidors ,,die Menschen heute mit demselben Gaukelspiel getäuscht, womit die ersten Eltern getäuscht wurden".

Daraus ergibt sich die Antwort Zu 1.

Zu 2. Wenn irgendwelche Sünden ohne Anreiz des Teufels begangen werden, so werden die Menschen doch dadurch Söhne des Teufels, insofern sie ihn, der zuerst sündigte, nachahmen.

Zu 3. Der Mensch kann von sich aus in die Sünde stürzen; zum Verdienst sich erheben kann er aber nur durch göttliche Hilfe, die dem Menschen zuteil wird durch Vermittlung des Dienstes der Engel. Darum wirken bei allen unseren guten Werken die Engel mit; doch gelten nicht alle unsere Sünden aus der Einflüsterung der bösen Geister hervor. Allerdings gibt es keine Gattung von Sünde, die nicht gelegentlich von der Einflüsterung des Teufels kommt.

4. ARTIKEL

Können die bösen Geister die Menschen verführen durch echte Wunder?

1. Die Tätigkeit der bösen Geister wird am gewaltigsten sein in den Werken des Antichrist. Der Apostel aber sagt in 2 Thess 2,9: ,,Dessen Ankunft geschieht in der Kraft Satans, mit allerlei Macht, Zeichen und Lügenwundern." Also geschehen um so mehr zu anderer Zeit durch die bösen Geister nur trügerische Lügenwunder.

2. Echte Wunder geschehen durch Verwandlung der Körper. Die bösen Geister aber können keine Körper in eine andere Natur verwandeln; so sagt Augustinus: ,,Ich glaube auch nicht, dass der menschliche Leib in irgendeiner Weise durch List oder Macht der bösen Geister in tierische Glieder verwandelt werden kann." Also können die bösen Geister keine echten Wunder wirken.

3. Ein Beweis, mit dem man auch das Gegenteil beweisen kann, taugt nicht. Wenn also durch die bösen Geister echte Wunder geschehen können, um Falsches glaubhaft zu machen, so können Wunder nicht wirksam sein zur Bekräftigung der Wahrheit des Glaubens. Das ist unannehmbar, denn in Mk 16,20 heißt es: ,,Der Herr aber wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die nachfolgenden Zeichen."

ANDERSEITS sagt Augustinus: ,,Durch Zauberkünste geschehen Wunder, die jenen Wundern sehr ähnlich sind, die durch die Diener Gottes geschehen."

ANTWORT: Fasst man ,Wunder‘ im eigentlichen Sinne, so können weder die bösen Geister Wunder wirken, noch irgendein Geschöpf, sondern Gott allein (110, 4), weil das im eigentlichen Sinne ,Wunder‘ heißt, was sich jenseits der Ordnung der Gesamtnatur vollzieht, unter der alle geschaffene Kraft steht. Doch heißt bisweilen das ,Wunder‘ im weiteren Sinne, was menschliche Fähigkeit und Anschauung übersteigt. Und so können die bösen Geister ,Wunder‘ wirken, welche die Menschen anstaunen, weil sie ihre Fähigkeit und Erkenntnis übersteigen. Denn auch ein Mensch, der etwas tut, was über die Fähigkeit und Kenntnis eines anderen hinausgeht, bringt den andern zur Bewunderung seines Werkes, so dass er fast ein Wunder zu wirken scheint. — Man muss indes wissen, dass, wenngleich solche Werke der bösen Geister, die uns Wunder zu sein scheinen, an das wahre Wesen des Wunders nicht herankommen, sie doch bisweilen wirkliche Dinge sind. So haben die Zauberer des Pharao in der Kraft der bösen Geister wirkliche Schlangen und Frösche hervorgebracht [Ex 7,12; 8,7]. Und ,,als Feuer vom Himmel fiel und die Familie des Job mit den Scharen der Rinder in einem Ansturm verzehrte, und ein Wirbelwind sein Haus zum Einsturz brachte und seine Söhne tötete, so waren dies Werke des Satans und keine Trugbilder" (Augustinus).

Zu 1. Wie Augustinus an derselben Stelle sagt, können die Werke des Antichrist Lügenwunder genannt werden, ,,entweder weil er die Sinne der Sterblichen durch Trugbilder täuschen will, so dass er das zu wirken scheint, was er tatsächlich nicht wirkt; oder weil diese Wunder, wenn sie echt sind, die Glaubenden zur Lüge führen werden".

Zu 2. Der körperliche Stoff gehorcht den guten oder bösen Engeln nicht so auf den Wink, dass die bösen Geister durch ihre Kraft den Stoff von einer Form in eine andere verwandeln können, sondern sie können gewisse Samen, die sich in den Grundstoffen der Welt finden, verwenden, um derartige Wirkungen zu erreichen (Augustinus). Darum muss man sagen, dass alle Umformungen körperlicher Dinge, die durch gewisse natürliche Kräfte, wozu jene Samenkräfte gehören, geschehen können, auch durch die Tätigkeit der bösen Geister hervorgebracht werden können unter Anwendung solcher Samenkräfte; .z. B. können irgendwelche Dinge in Schlangen oder Frösche verwandelt werden, die durch Verwesung entstehen können. Jene Umwandlungen von Körperdingen aber, welche nicht durch die Kraft der Natur geschehen können, können in keiner Weise durch die Tätigkeit der bösen Geister wirklich vollbracht werden; z.B. dass ein menschlicher Leib in einen Tierleib verwandelt oder dass ein Leichnam wieder lebendig werde. Und wenn bisweilen etwas Derartiges durch die Tätigkeit der bösen Geister zu geschehen scheint, so erfolgt dies nicht nach der Wahrheit und Wirklichkeit, sondern nur dem Schein nach.

Und zwar kann dies auf doppelte Weise sein. *Einmal von innen her, sofern der böse Geist das Vorstellungsvermögen des Menschen und auch die körperlichen Sinne beeinflusst, so dass etwas anders erscheint, als es ist (111, 3 u. 4). Und man sagt, derartiges geschehe zuweilen auch aus der Kraft gewisser Körperdinge.
*Sodann von außen her. Da er nämlich einen Leib jeder beliebigen Form und Gestalt aus Luft bilden kann, um ihn anzunehmen und darin sichtbar zu erscheinen, so kann er aus demselben Grunde jedem beliebigen Ding jede beliebige körperliche Form umlegen, so dass dieses Ding in der neuen Form gesehen wird. Und das drückt Augustinus aus mit den Worten: ,,Die Einbildungskraft des Menschen, die ja auch in Gedanken oder im Traum auf unzählige Dinge der verschiedensten Art überspringt, erscheint fremden Sinnen, als hätte sie die körperliche [Schein- ]Gestalt irgendeines Tieres angenommen." Das ist nicht so zu verstehen, als ob die Einbildungskraft des Menschen selbst oder der Zahl nach ein und dasselbe leibhaftige Bild verkörpert und den Sinnen eines andern gezeigt würde, sondern es kann der böse Geist, der im Vorstellungsvermögen des einen Menschen selbst ein Bild formt, ein ähnliches Bild den Sinnen eines andern Menschen darbieten.

Zu 3. Augustinus sagt: ,,Wenn die Zauberer das tun, was die Heiligen tun, so geschieht das mit verschiedenem Ziel und mit verschiedenem Recht. Denn jene handeln und suchen dabei ihren eigenen, diese suchen Gottes Ruhm. Jene handeln in eignen Geschäften, diese aber in öffentlicher Amtstätigkeit und auf Geheiß Gottes, dem alle Schöpfung unterworfen ist."

5. ARTIKEL

Wird der böse Geist, wenn er überwunden ist, darum an [weiteren] Anfechtungen gehindert?

1. Christus hat Seinen Versucher am wirksamsten besiegt. Und doch hat dieser Ihn nachher wieder angefochten, indem er die Juden aufstachelte, Ihn zu ermorden. Also ist es nicht wahr, dass der besiegte Teufel von der Anfechtung lässt.

2. Einem eine Strafe auferlegen, der im Kampf unterliegt, heißt ihn zu erbittertem Kampf aufstacheln. Das aber widerstrebt Gottes Barmherzigkeit. Also werden die überwundenen bösen Geister nicht gehindert.

ANDERSEITS heißt es bei Mt 4,11: ,,Da verließ Ihn der Teufel", nämlich den Überwinder, Christus.

ANTWORT: *Einige sagen, der einmal überwundene Teufel kann keinen Menschen weiterhin versuchen, weder in derselben Sünde noch in einer anderen.
*Andere wieder sagen, er könne zwar andere versuchen, nicht aber denselben. Und diese Annahme ist wahrscheinlicher, wenn sie für eine gewisse Zeit verstanden wird. Darum heißt es in Lk 4,13, dass ,,nach Beendigung aller Versuchung der Teufel von Christus wich für einige Zeit". Der Grund dafür ist ein doppelter: *Einmal die göttliche Güte; so sagt Chrysostomus zu Mt 4,10: ,,Der Teufel versucht die Menschen nicht so lange, wie er will, sondern nur so lange, wie Gott es zulässt; denn wenn Er ihn auch eine kleine Weile [uns] versuchen lässt, so treibt Er ihn doch wieder fort, unserer Schwäche wegen." Ein *zweiter Grund ergibt sich aus der Verschlagenheit des Teufels; darum sagt Ambrosius zu Lk 4,13: ,,Der Teufel flüchtet sich davor, allzu aufdringlich zu sein, weil er es scheut, öfters besiegt zu werden." — Dass bisweilen aber der Teufel zurückkehrt zu dem, den er verlassen hat, geht hervor aus Mt 12,44: ,,Ich will in mein Haus zurückkehren, woher ich gekommen bin."

Daraus ergibt sich die Lösung der Einwände.

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