GIBT ES ENGEL?

BEJAHENDE ANTWORTEN UND ENTMYTHOLOGISIERUNG

Der Lauf durch die Jahrhunderte von den ältesten Kulturen und Religionen weg demonstriert uns: Überall gibt es Spuren eines Glaubens an untergeordnete, dienende Geistwesen, die jedoch einer übermenschlichen Sphäre angehören, und die Mittelwesen zwischen Gottheit und Menschheit darstellen. In stark divergierenden Ausgestaltungen trifft man auf ihre Annahme in fast der ganzen Religionsgeschichte.

Bei den primitiven Völkern ist jeder Naturerscheinung ein Geist zugeordnet, ein wohlwollender oder ein boshafter, je nach den Wirkungen, die von solchen Phänomenen ausgehen. In ihrer Vorstellung steht hinter jeder Quelle und jedem Berg, hinter gewissen Orten, Tieren und Bäumen ein Geist, den man sich gewogen machen muss, von den ältesten Zeiten bis heute. So z. B. im indianischen Raum Amerikas wie in den Naturreligionen der Afrikaner.

Im alten Ägypten verehrte man eine große Anzahl von Geistern, die den Göttern unterstanden, ihnen Ehre erwiesen und ihren Hofstaat bildeten. In Mesopotamien hatte eine unüberschaubare Zahl von Geistern einen ausgesprochen personalen Charakter und übte einen oft entscheidenden Einfluss auf die Wechselfälle des Lebens aus. In Persien stand zweitausend Jahre vor Christus, sowohl vor als auch nach der Reform des Zarathustra, der Glaube an gute und böse Zwischenwesen in voller Blüte. Der Verruchteste von allen war Ahriman, ,,der böse Geist" schlechthin, der sich dem ,,Retter-Geist" entgegenstellte.

Er gleicht einem ,,Fürsten dieser Welt". Zu seinem Anhang zählen auch böse Geister niedrigeren Ranges, ehemalige Gottheiten, die, wie es scheint, gestürzt und verwandelt wurden.

Bei den Griechen und Römern war die Verehrung der Schutzgeister der Natur lebendig. Es gab einen, der für den guten Lauf der Wassermühlen sorgte und einen, der boshafterweise das Geschirr zerbrach; einer war dafür verantwortlich, dass die Lämmer der Herde ohne Komplikationen gebaren, ein anderer suchte die Kranken mit Fieber heim.

Die Überzeugung von der Existenz dieser ,,Genien war so weit verbreitet, dass sie selbst in die Abhandlungen der Philosophen Eingang fand. Einer von ihnen, Pythagoras, baute auf den Mittlerwesen zwischen Göttern und Menschen sogar ein System der Metaphysik auf.

Was Platon betrifft, so ist für ihn das Daimonion offenbar ein personales Wesen zwischen Gottheit und Menschheit, das die Menschen antreibt, auf dem rechten Weg zu bleiben.

Aristoteles kennt "über dem Himmel Wesen, die weder dem Wandel noch irgendwelchen Leidenschaften unterworfen sind und dort auf ewig ein Leben führen, wie es schöner nicht sein könnte". Jedes von ihnen bewegt einen der Himmel, ist geistbegabter Mittler zwischen dem "Unbewegten Beweger" und dem Menschen und wird dadurch zu einem Element in der Erklärung, die Aristoteles für die Bewegung des Universums gibt.‘

Chrysippos und mit ihm andere stoische Philosophen berücksichtigen in ihrem System gute und böse Geistwesen, denen zwar die göttliche Leidenschaftslosigkeit und Seligkeit fehlt, die aber doch den Menschen weit überlegen sind. Die bösen Geister seien möglicherweise die Urheber der Unglücksfälle und der Bosheit der Menschen.

In der asiatischen Welt finden wir im Buddhismus und Hinduismus neben den vielen Göttern auch geistige Mittlergestalten.

Es ist also klar, dass die Überzeugung von der Existenz personaler Wesen, die unter der Gottheit, aber über den Menschen stehen, seit uralten Zeiten auf der ganzen Welt verbreitet ist; mehr noch, sie ist ein fester Bestandteil des Weltbildes der Menschheit. Man muss sich fragen, aus welchen Gründen dieser universale Glaube so verbreitet ist.

Man sprach früher von einer Uroffenbarung, die in Völkern von Generation zu Generation weitergegeben worden sei.

Die Religionshistoriker haben aber auch festgestellt, dass die Götter einer Religion, die von einer anderen verdrängt worden ist, oft nicht ganz verschwinden, sondern in einer Nische Platz finden, als Wesen, die zwar höheren Gottheiten unterworfen sind, selber aber immer noch höher stehen als die Menschen.

Dann gibt es einen Grund philosophischer Natur: Vor allem von der griechischen Kultur wurde die materielle Welt im Vergleich mit der unendlichen Transzendenz der Gottheit mit einer gewissen Geringschätzung betrachtet. Wie konnte man also die Welt mit Gott in Verbindung bringen? — Der Gedanke an Mittlerwesen löste das Dilemma.

Die christliche Philosophie hat aber diese Beweisführung gründlich widerlegt, als sie zugleich mit der Transzendenz Gottes auch seine Immanenz beleuchtete: seine Gegenwart im ganzen Universum und seine Menschwerdung.

Schließlich gibt es für die Entwicklung dieses Glaubens einen noch gewichtigeren Grund: die Neigung des menschlichen Verstandes, für die verschiedenen Erscheinungen eine Erklärung zu suchen, ohne unmittelbar auf die Erstursache zurückzugreifen.

Unglücksfälle und Schicksalsschläge aus heiterem Himmel, unverhoffte Heilungen und plötzliche Todesfälle weichen vom natürlichen Verlauf der Dinge ab. Was soll man davon halten? Hat Gott als direkte, unmittelbare Ursache eingegriffen? Sicher nicht!

Ob es sich um solche ungewöhnlichen Fälle handelte oder um mit unwandelbarer Präzision wiederkehrende Gesetzmäßigkeiten, es schien einleuchtend, wenn erklärt wurde, dass ein Geist sie leite.

Die Genien oder Engel der Quellen und der Sterne, der Fieber und der Blüten, der Geburten und der Todesfälle, sie waren die Regisseure des aufregenden und erschütternden Lebensdramas, in das wir hineingestellt sind.

Und sogar das Geheimnis des eigenen Inneren, in dem unerklärliche Kräfte wahrzunehmen sind, hat der Mensch oft mit dem Eingreifen guter und böser Geister zu erklären versucht. So kam er manchmal durch Projizierung und Personifizierung der guten und bösen Kräfte seines Unterbewusstseins auf den Gedanken an gute und böse Geister, an Engel und Dämonen.

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