Die Engellehre anhand der Schriften
der großen Theologen und des kirchlichen Lehramtes

Hl. Thomas von Aquin: Summa Theologiae

Hl. Thomas von Aquin: Summa Contra Gentiles

Die Gesamtheit der Theologie des Hl. Thomas besteht aus mehren Bänden. In der Wirklichkeit sind es fünf  Bände. In der Logik aber hat es der große Theologe in drei unterteilt:
1. Teil: Gottes Schöpfung und sein Wirken in der Schöpfung
2. Teil: Das menschliche Handeln: Dieser Teil ist wiederum unterteilt in 2 Unterteilen:
"1.Teil des 2.Teiles" : Das Wesen des Handelns an sich und
"2. Teil des 2 Teiles" : Die Tugenden, Urquelle des menschlichen Handelns
3. Teil: Gottes Handeln im einst menschlichen Christus und im verklärten Christus, der durch seine Sakramente wirkt. Dieser Teil ist ebenfalls unterteilt in
"3. Teil" und "Ergänzung"

 

 


Seine ganze Theologie hat der Theologe im Stil der einzelnen Fragestellung aufgebaut. Zuerst wird die Frage gestellt, dann  mit Gründen dagegen (1. 2. 3) beantwortet, darauf mit einem weiteren Grund dafür oder dagegen beantwortet (Anderseits), und schließlich mit einer Erörterung, der definiten ANTWORT, behandelt. Danach folgt noch die Entkräftung der nach der Fragestellung gegebenen negativen  Gründe (Zu 1. zu 2. zu 3. ...)

Die Engel finden sich in den  Fragen in der rechten Spalte:

1. Teil:
50. - 64. FRAGE: Die Engelwelt
50. FRAGE: Vom Wesen der Engel überhaupt
51. FRAGE: Das Verhältnis der Engel zu den Körpern
52.  FRAGE: Vom Verhältnis der Engel zum Ort
53.  FRAGE: Von der Ortsbewegung der Engel
54.  FRAGE: Von der Erkenntnis der Engel
55.  FRAGE: Von dem Erkenntnismittel der Engel
56.  FRAGE: Über die Erkenntnis der Engel im Bereich der unstofflichen Dinge
57.  FRAGE: Von der Erkenntnis der Engel hinsichtlich der stofflichen Dinge
58.  FRAGE: Von der Weise des Erkennens der Engel
59.  FRAGE: Vom Willen der Engel
60.  FRAGE: Von der Liebe oder Zuneigung der Engel
61.  FRAGE: Von der Hervorbringung der Engel zum Sein der Natur
62.  FRAGE: Von der Vollendung der Engel im Sein der Gnade und Herrlichkeit
63.  FRAGE: Von der Schlechtheit der Engel in bezug auf ihre Schuld
64.  FRAGE: Von der Strafe der bösen Geister
65. FRAGE, Artikel 3: Sind d. Körperdinge  unter Vermittlung d. Engel hervorgebracht?
65. FRAGE, Artikel  4 :Sind die Wesensformen der Körper von den Engeln?
75. FRAGE, Artikel 7: Ist die Seele von der selben Art wie der Engel?
88. FRAGE, Artikel 1: Kann die menschliche Seele d.  Stofflose durch diese selbst erkennen?
88. FRAGE, Artikel 2: Kann unser Verstand durch Stoffliches das Stofflose  erkennen?
90. FRAGE, Artikel 3: Ob die Vernunftseele unmittelbar von Gott hervorgebracht wurde
93. FRAGE, Artikel 3: Ob d. Engel vollkommener ein Ebenbild Gottes ist als d. Mensch
94. FRAGE, Artikel 2: Ob Adam im Unschuldsstande die Engel in ihrem Wesen geschaut hat
106-114 Von den Engeln in Wirkung auf die Schöpfung
106.  FRAGE: Wie ein Geschöpf das andere bewegt
107.  FRAGE: Von der Sprache der Engel
108.  FRAGE: Von den Stufen der Engel nach Rangfolgen und Chöre
109.  FRAGE: Von den Stufenordnungen der bösen Engel
110.  FRAGE: Das Walten der Engel über die körperliche Schöpfung
111.  FRAGE: Von der Einwirkung der Engel auf den Mensch
112.  FRAGE: Von der Sendung der Engel
113.  FRAGE: Vom Beschützeramt der guten Engel
114.  FRAGE: Von der Anfechtung der bösen Engel
2. Teil
Einzelaspekte der Engel in 1. Teil des 2. Teiles
3. FRAGE,  Artikel 7: Ob uns die Erkenntnis der Engel glücklich macht?
89. FRAGE,  Artikel 4: Ob ein guter oder schlechte Engel leicht sündigen kann?
98. FRAGE,  Artikel 3: Wurde das Alte Gesetz durch Engel gegeben?
Einzelaspekte der Engel in 2. Teil des 2. Teiles
5. FRAGE,  Artikel 1: Hatten Engel und Mensch in ihrer ursprünglichen Seinsweise Glauben?
5. FRAGE,  Artikel 2: Ist in den gefallenen Engeln (noch) Glaube?
25. FRAGE,  Artikel 10: Müssen wir die Engel aus der heiligen Liebe lieben?
25. FRAGE,  Artikel 11: Müssen wir die Dämonen aus heiliger Liebe lieben?
172. FRAGE,  Artikel 2: Ergeht die prophetische Offenbarung durch Engel?
3. Teil
Einzelaspekte der Engel in 3. Teil
8. FRAGE,  Artikel 4: Ist Christus als Mensch das Haupt der Engel?
11. FRAGE,  Artikel 4: War das eingegossene Wissen Christi geringer als das der Engel?
12 FRAGE,  Artikel 4: Hat Christus von den Engeln Wissen empfangen?
30. FRAGE,  Artikel 2: Musste der Maria die Botschaft durch einen Engel gebracht werden?
30. FRAGE,  Artikel 3: Musste der Engel bei der Verkündigung an Maria  sichtbar erscheinen?
36. FRAGE,  Artikel 5: Musste die Geburt Christi durch den Engel und den Stern verkündet w.?
59. FRAGE,  Artikel 5: Erstreckt sich die richterliche Gewalt Christi auf die Engel?
64. FRAGE,  Artikel 7: Können die Engel Sakramente spenden?
80. FRAGE,  Artikel 2: Kann nur der Mensch oder können auch die Engel dieses Sakrament geistig empfangen?
Einzelaspekte der Engel in  Ergänzung
16. FRAGE,  Artikel 3: Ist der Engel, der gute oder böse, für die Buße empfänglich?
76. FRAGE,  Artikel 2: Werden die Engel auf irgendeine Weise zur Auferstehung beitragen?
89. FRAGE,  Artikel 3: Müssen die Engel richten?
89. FRAGE,  Artikel 4: Vollstrecken die Dämonen ihr  Gerichtsurteil an den Verdammten?
95. FRAGE,  Artikel 4: Besitzen die Engel Brautgaben?
96. FRAGE,  Artikel 9: Gebührt den Engeln ein Siegeszeichen?
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aller Fragen: Sum. Theol.

ERSTER TEIL

75. FRAGE
VOM MENSCHEN, DER AUS GEIST UND KÖPRER ZUSAMMENGESETZT IST, UND WAS DIE WESENHEIT DER SEELE IST.

7. ARTIKEL

Ist die menschliche Seele von derselben Art wie der Engel?

1. Jedwedes Ding ist auf das ihm eigentümliche Ziel hin geordnet durch die Natur seiner Art, durch die es die Hinneigung zum Ziel hat. Seele und Engel haben aber dasselbe Ziel. nämlich die ewige Seligkeit. Folglich sind sie von derselben Art.

2. Der letzte Artunterschied ist der edelste, denn er gibt dem Artbegriff seine Vollständigkeit. Nun gibt es aber in der Seele und im Engel nichts Edleres, als verstandbegabt zu sein. Also kommen Seele und Engel im letzten Artunterschied überein. Folglich sind sie von derselben Art.

3. Die Seele scheint sich vorn Engel nur dadurch zu unterscheiden, dass sie mit einem Körper vereint ist. Da aber der Körper außerhalb der Wesenheit der Seele ist, scheint er nicht zu ihrer Art zu gehören. Also sind Seele und Engel von derselben Art.

ANDERSEITS sind Wesen, deren naturhafte Tätigkeit verschieden sind, der Art nach verschieden. Seele und Engel haben aber verschiedene naturhafte Tätigkeiten. Denn, wie Dionysius sagt, ,,haben die Engelgeister einfache und glückliche Erkenntnisse, da sie ihr Wissen von Gott nicht aus den sichtbaren Dingen zusammenstellen." Das Gegenteil hiervon sagt er später von der Seele. Seele und Engel sind also nicht von derselben Art.

ANTWORT: Origenes hat behauptet, alle menschlichen Seelen und die Engel seien von derselben Art. Und dies deswegen, weil nach seiner Annahme die Verschiedenheit der Abstufung, die sich bei diesen Substanzen findet, unwesentlich ist, da sie von der freien Willensentscheidung herkomme.

Das kann aber nicht sein. Denn bei körperlosen Substanzen kann es keine Verschiedenheit der Zahl nach geben ohne eine Verschiedenheit der Art nach und ohne Ungleichheit der Natur. Denn wenn sie nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt, sondern selbständige Formen sind, ist es klar, dass sie der Art nach verschieden sein müssen. Es ist nämlich nicht denkbar, dass eine getrennt bestehende Form nicht die einzige derselben Art ist. Würde z. B. die Weiße getrennt bestehen, so könnte es nur eine [einzige] Weiße geben. Denn diese Weiße unterscheidet sich von jener nur dadurch, dass die eine diesem, die andere jenem [Träger] angehört. Eine Verschiedenheit der Art ist aber stets auch von einer Verschiedenheit der Natur begleitet; wie bei den Arten der Farben die eine [Farbe] vollkommener ist die andere; ebenso auch bei anderen Dingen. Und das deswegen so, weil die die Gattung aufteilenden Unterschiede einander entgegengesetzt sind. Entgegengesetzte Dinge verhalten sich aber zueinander wie das Vollkommene zum Unvollkommenen. Denn ,,den Grund des Gegensatzes bildet Beraubtsein und Haben" (Aristoteles).

Dasselbe würde sich auch ergeben, wenn solche Substanzen aus Stoff und Form zusammengesetzt wären. Wenn sich nämlich der Stoff der einen vom Stoff der andern unterscheidet, muss entweder die Form Unterscheidungsgrund des Stoffes sein, so dass die Stoffe wegen ihres Verhältnisses zu den verschiedenen Formen verschieden sind.

Und dann ergibt sich immer noch ein Unterschied der Art und nach und eine Ungleichheit der Natur. Oder der Stoff ist Unterschiedsgrund der Formen; und dieser Stoff kann von jenem nur durch die Teilung auf Grund der Ausdehnung verschieden genannt werden. Diese [Teilung] hat aber bei körperlosen Substanzen, wie Engel und Seele es sind, nicht statt. Daher ist es nicht möglich, dass Engel und Seele von derselben Art sind. — Wie es aber mehrere Seelen von derselben Art geben kann, soll später (76, 2 Zu 1) gezeigt werden.

Zu 1. Der Einwand geht aus vom nächsten und natürlichen Ziel. Die ewige Seligkeit ist aber das letzte und übernatürliche Ziel.

Zu 2. Der letzte Artunterschied ist der edelste, sofern am meisten bestimmt ist, in der Weise, wie die Wirklichkeit edler ist als die Möglichkeit. In diesem Sinne jedoch ist das Verstandbegabtsein nicht das Edelste. Denn es ist unbestimmt und mehreren Stufen der Verstandbegabtheit gemeinsam, wie das Sinnenbegabtsein mehreren Stufen im Bereich des sinnlichen Seins gemeinsam ist. Eben so wenig also wie alles Sinnenbegabte ist alles Verstandbegabte von derselben Art.

Zu 3. Der Körper gehört nicht zum Wesen der Seele, es liegt aber der Seele in ihrem innersten Wesen, mit dem Körper vereint zu werden. Daher steht eigentlich nicht die Seele in der Art, sondern das Zusammengesetzte. Und gerade der Umstand, dass die Seele zu ihrer Tätigkeit in gewisser Weise des Körpers bedarf, zeigt, dass die Seele auf einer geringeren Stufe der Verstandbegabtheit steht als der Engel, der nicht mit einem Körper vereint ist.

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88. FRAGE
WIE DIE MENSCHLICHE SEELE DAS ERKENNT, WAS ÜBER IHR IST.

Darauf ist zu betrachten, wie die menschliche Seele das erkennt, was über ihr ist, nämlich die stofflosen Substanzen.

Hierbei erheben sich drei Einzelfragen:
1. Kann die menschliche Seele, dem Stand des gegenwärtigen Lebens entsprechend, die stofflosen Substanzen, die wir Engel nennen, durch diese selbst erkennen?
2. Kann sie zu deren Kenntnis gelangen durch die Erkenntnis der stofflichen Dinge?
3. Ist Gott das Erste, was von uns erkannt wird?

1. ARTIKEL

Kann die menschliche Seele, dem Stande des gegenwärtigen Lebens entsprechend, die stofflosen Substanzen durch diese selbst erkennen?

1. Augustinus sagt: ,,Wie der Geist die Kenntnisse der körperlichen Dinge durch die Sinne des Körpers sammelt, so die Kenntnis der körperlosen Dinge durch sich selbst." Letztere sind aber die stofflosen Substanzen. Also erkennt der Geist die stofflosen Substanzen.

2. Gleiches wird durch Gleiches erkannt. Der menschliche Geist gleicht aber mehr den stofflosen Dingen als den stofflichen, da der Geist stofflos ist. Da also unser Geist die stofflichen Dinge erkennt, erkennt er weit mehr noch die stofflosen Dinge.

3. Dass das, was an und für sich am meisten sinnfällig ist, nicht am meisten von uns sinnlich wahrgenommen wird, kommt daher, ,dass die überragende Stärke des Sinnfälligen den Sinn zerstört. Die überragende Stärke des Verstehbaren aber zerstört den Verstand nicht (Aristoteles). Was also an und für sich am meisten verstehbar ist, ist auch am meisten verstehbar für uns. Da nun die stofflichen Dinge nur verstehbar sind, weil wir sie durch Abziehen aus dem Stoff in Wirklichkeit verstehbar machen, sind offenbar jene Substanzen an sich in höherem Maße verstehbar, die ihrer Natur nach stofflos sind. Also werden sie auch in viel höherem Maße von uns erkannt als die stofflichen Dinge.

4. Der Erklärer [Averroes] sagt, wenn die getrennt bestehenden Substanzen von uns nicht erkannt werden könnten, ,,dann hätte die Natur müßig gehandelt: weil sie bewirkt hätte, dass das, was an sich natürlicherweise erkennbar ist, von niemand erkannt würde". Nichts ist aber müßig oder vergeblich in der Natur. Folglich können die stofflosen Substanzen von uns erkannt werden.

5. Wie sich der Sinn zum Sinnfälligen verhält, so verhält sich der Verstand zum Verstehbaren. Unser Gesichtssinn kann aber alle Körper sehen, sowohl die oberen und unzerstörbaren als auch die unteren und zerstörbaren. Also kann unser Verstand alle verstehbaren Substanzen erkennen, auch die oberen und stofflosen.

ANDERSEITS heißt es in Weish 9,16: ,,Was im Himmel ist, wer wird es erforschen?" Man sagt aber, derartige [stofflose] Substanzen seien im Himmel: ,,Ihre Engel im Himmel usw." (Mt 18,10). Also können die stofflosen Substanzen durch menschliches Forschen nicht erkannt werden.

ANTWORT: Nach der Meinung Platos werden die stofflosen Substanzen nicht nur von uns erkannt, sondern sind auch das Erste, was von uns erkannt wird. Plato behauptete nämlich, die unstofflichen, für sich bestehenden Formen, die er ,,Ideen" nannte, seien die eigentümlichen Gegenstände unseres Verstandes; sie würden deshalb zuerst und an sich von uns erkannt. Die Erkenntnis der Seele wende sich jedoch den stofflichen Dingen zu, sofern, sich dem Verstand Phantasie und äußere Sinne beimischten. Je mehr daher der Verstand geläutert sei, desto mehr erfasse er die verstehbare Wahrheit des Unstofflichen.

Nach der Ansicht des Aristoteles dagegen, die unserer Erfahrung mehr entspricht, hat unser Verstand, dem Stand des gegenwärtigen Lebens gemäß, die natürliche Blickrichtung auf die Naturen der stofflichen Dinge; daher erkennt er nicht ohne Hinkehr zu den Phantasiebildern. Und so ist es klar, dass wir die stofflosen Substanzen, die nicht unter die Sinne und die Einbildungskraft fallen, nach der Erkenntnisweise, wie wir sie erfahren, auch nicht zuerst und an sich erkennen können.

Gleichwohl hat Averroes behauptet, der Mensch könne schließlich in diesem Leben dazu gelangen, die getrennt bestehenden Substanzen zu erkennen, und zwar durch den Anschluss oder die Vereinigung einer getrennten Substanz mit uns, die er ,,tätigen Verstand" nennt, der seinerseits als getrennt bestehende Substanz natürlicherweise die getrennt bestehenden Substanzen erkenne. Wenn er daher vollkommen mit uns vereint sei, so dass wir vollkommen durch ihn erkennen könnten, würden auch wir die getrennt bestehenden Substanzen erkennen, wie wir jetzt durch den uns geeinten möglichen Verstand die stofflichen Dinge erkennen. — Nach ihm wird aber der tätige Verstand so mit uns vereint: Da wir durch den tätigen Verstand und das betrachtete Verstehbare erkennen — wie dies erhellt, wenn Wir die Schlusssätze durch die erkannten Grundsätze erkennen —, so muss sich der tätige Verstand zu dem betrachteten Verstandenen verhalten entweder wie das Haupttätige zu den Werkzeugen oder wie die Form zum Stoff. Denn in diesem zweifachen Sinne wird eine Tätigkeit zwei Gründen zugeschrieben: einmal dem Haupttätigen und dem Werkzeug, wie das Sägen dem Handwerker und der Säge; dann der Form und dem Träger, wie das Erwärmen der Wärme und dem Feuer. Auf beide Weisen nun wird sich der tätige Verstand zu dem betrachteten Verstehbaren verhalten wie die Vollkommenheit zu dem Vervollkommnungsfähigen und die Wirklichkeit zur Möglichkeit. Das Vollkommene und die Vollkommenheit werden aber zugleich in etwas aufgenommen, so z. B. das in Wirklichkeit Sichtbare und das Licht ins Auge. Folglich werden auch in den möglichen Verstand das betrachtete Verstandene und der tätige Verstand zugleich aufgenommen. Und je mehr betrachtetes Verstandenes wir aufnehmen, desto mehr nähern wir uns der vollkommenen Vereinigung des tätigen Verstandes mit uns. So dass, wenn wir alles betrachtete Verstandene erkannt haben, der tätige Verstand vollkommen mit uns vereint sein wird; und wir werden dann durch ihn alles, Stoffliches und Unstoffliches, erkennen können. Und hierhinein verlegt er die Endseligkeit des Menschen. —Dabei ist es für das Vorliegende belanglos, ob in jenem Zustand der Glückseligkeit der mögliche Verstand die getrennt bestehenden Substanzen durch den tätigen Verstand erkennt — wie er selber meint —, oder ob — wie nach ihm Alexander annimmt — der mögliche Verstand niemals die getrennten Substanzen erkennt (deshalb, weil nach dessen Auffassung der mögliche Verstand zerstörbar ist), sondern der Mensch die getrennten Substanzen durch den tätigen Verstand [allein] erkennt.

Indes das eben Gesagte lässt sich nicht aufrecht halten. Denn erstens: wenn der tätige Verstand eine getrennt bestehende Substanz ist, können wir unmöglich durch ihn im eigentlichen Sinne erkennen, weil das, wodurch ein Tätiges im eigentlichen Sinne tätig ist, Form und Wirklichkeit des Tätigen ist, da jedes Tätige nur tätig ist, sofern es wirklich ist, wie dies oben auch vom möglichen Verstand gesagt worden ist.

Zweitens: wenn nach genannter Auffassung der tätige Verstand eine getrennt bestehende Substanz wäre, wäre er nicht seinem Wesensgehalt nach mit uns vereint, sondern nur durch sein Licht, sofern es sich in dem betrachtbaren Verstandenen mitteilt, nicht aber in bezug auf seine übrigen Tätigkeiten, so dass wir dadurch die stofflosen Substanzen erkennen könnten. So wird auch, während wir die von der Sonne belichteten Farben sehen, nicht die Substanz der Sonne mit uns vereint, so dass wir die Tätigkeiten der Sonne verrichten könnten; sondern es vereint sich mit uns nur das Licht der Sonne, damit wir die Farben sehen können.

Drittens: zugegeben, die Substanz des tätigen Verstandes werde nach oben besagter Weise mit uns vereint, so ist ihre Auffassung doch nicht die, dass der tätige Verstand durch ein [einziges] Verstehbares oder zwei, sondern durch alles betrachtete Verstandene vollständig mit uns vereint wird. Indes alles betrachtete Verstandene bleibt hinter der Leistungsfähigkeit des tätigen Verstandes zurück; denn es ist eine viel größere Leistung, die getrennt bestehenden Substanzen zu erkennen, als alles Stoffliche. Wenn wir daher auch alles Stoffliche erkannt hätten, so würde der tätige Verstand offenbar doch nicht so mit uns vereint sein, dass wir durch ihn die getrennten Substanzen erkennen könnten.

Viertens: es wird wohl kaum einem in dieser Welt gelingen, alles stoffliche Verstandene zu erkennen; und so wurde entweder keiner oder es würden äußerst wenige zur Glückseligkeit gelangen. Das widerspricht aber der Lehre des Philosophen, nach der die Glückseligkeit ,,ein gemeinsames Gut" ist, ,,das allen zuteil werden kann, die der Tugend nicht ermangeln". — Es ist auch gegen die Vernunft, dass das Ziel einer Art nur von der Minderzahl derer erreicht werde, die zu der Art gehören.

Fünftens: der Philosoph sagt ausdrücklich im ersten Buch der Ethik, die Glückseligkeit sei ,,eine Tätigkeit gemäß vollkommener Tugend". Und nachdem er viele Tugenden aufgezählt hat, zieht er im zehnten Buch die Folgerung, das Endglück, das in der Erkenntnis des im höchsten Grad Verstehbaren bestehe, beruhe auf der Tugend der Weisheit, die er im sechsten Buch als das Haupt der betrachtenden Wissenschaften hingestellt hatte. Daher ist es klar, dass Aristoteles das Endglück des Menschen in die Erkenntnis der getrennt bestehenden Substanzen gesetzt hat, eine Erkenntnis, die man durch die betrachtenden Wissenschaften erlangen kann und nicht durch den von gewissen Leuten erdichteten Anschluss an einen tätigen Verstand.

Sechstens: wie oben gezeigt worden ist, ist der tätige Verstand keine getrennte Substanz, sondern eine bestimmte Kraft der Seele, die sich betätigend auf dieselben Gegenstände erstreckt, auf die sich der mögliche Verstand aufnehmend erstreckt; denn der mögliche Verstand ist das, ,,wodurch sie [die Seele] alles werden", der tätige Verstand das, ,,wodurch sie alles [erkennbar] machen kann" (Aristoteles). Beide Verstandeskräfte erstrecken sich also dem Stand des gegenwärtigen Lebens entsprechend einzig auf das Stoffliche, das der tätige Verstand in Wirklichkeit erkennbar macht, und das in den möglichen Verstand aufgenommen wird. Daher können wir dem Stand des gegenwärtigen Lebens entsprechend weder durch den möglichen, noch durch den tätigen Verstand die stofflosen Substanzen in ihrem Selbst erkennen.

Zu 1. Aus jener Belegstelle Augustins läst sich entnehmen, dass unser Geist das, was er an Erkenntnis der unkörperlichen Dinge gewinnen kann, durch sich selbst zu erkennen vermag. Und das ist so wahr, dass es auch bei den Philosophen heißt, die Wissenschaft von der Seele sei eine feste Grundlage für die Erkenntnis der getrennt bestehenden Substanzen. Denn dadurch, dass unsere Seele sich selbst erkennt, gelangt sie zu einer gewissen Erkenntnis von den körperlosen Substanzen, soweit sie eine solche erhalten kann: nicht als ob sie dieselben durch die Erkenntnis ihrer selbst schlechthin und vollkommen erkennen würde.

Zu 2. Die Ähnlichkeit der Natur ist kein genügender Grund zum Erkennen. Denn sonst müsste man sagen, was Empedokles gesagt hat: die Seele habe, um alle Dinge erkennen zu können, die Natur aller Dinge. Vielmehr ist zum Erkennen erforderlich, dass die Ähnlichkeit des erkannten Dinges im Erkennenden gewissermaßen dessen Form ist. Nun ist aber unser möglicher Verstand gemäß dem Stand des gegenwärtigen Lebens befähigt, von den aus den Phantasiebildern abgezogenen Ähnlichkeiten der stofflichen Dinge beformt zu werden; und deshalb erkennt er mehr das Stoffliche als die stofflosen Substanzen.

Zu 3. Der Gegenstand muss dem Erkenntnisvermögen angepasst sein wie das Tätige dem Leidenden und die Vollkommenheit dem Vervollkommnungsfähigen. Daher ist der Grund dafür, dass das überragend starke Sinnfällige nicht vom Sinn erfasst wird, nicht nur der, dass das Sinnfällige die Organe zerstört, sondern auch der, dass es den Sinnesvermögen nicht angepasst ist. Ebenso sind auch die stofflosen Substanzen unserm Verstand dem gegenwärtigen Stand gemäß nicht angepasst, so dass sie nicht von ihm erkannt werden können.

Zu 4. Jene Begründung des Erklärers versagt in mehrfacher Beziehung. Erstens folgt nicht, dass, wenn die getrennt bestehenden Substanzen nicht von uns erkannt werden, sie nicht von irgendeinem Verstand erkannt würden: sie werden nämlich von sich selbst und voneinander erkannt. — Zweitens, der Zweck der getrennten Substanzen besteht nicht darin, dass sie von uns erkannt werden. Von dem aber sagt man, dass es müßig und vergebens da sei, was den Zweck, zu dem es da ist, nicht erreicht. Und so folgt nicht, dass die stofflichen Substanzen umsonst da sind, sollten sie auch auf keine Weise von uns erkannt werden.

Zu 5. Auf dieselbe Weise erkennt der Sinn die oberen und die unteren Körper, nämlich durch Veränderung des Organs vom Sinnfälligen her. Es werden aber von uns nicht auf dieselbe Weise die stofflichen Substanzen verstanden, die durch Abziehen erkannt werden, und die stofflosen Substanzen, die auf diese Weise von uns nicht erkannt werden können, weil es von ihnen keine Phantasiebilder gibt.

2. ARTIKEL

Kann unser Verstand durch die Erkenntnis der stofflichen Dinge zur Erkenntnis der Stoff losen Substanzen gelangen?

1. Dionysius sagt: ,,Es ist dem menschlichen Geist nicht möglich, zu jener unstofflichen Beschauung der himmlischen Hierarchien erhoben zu werden, wenn er sich nicht, sich selbst gemäß, an Hand des Stofflichen dahin führen lässt." Es ergibt sich also, dass wir an Hand des Stofflichen zur Erkenntnis der stofflosen Substanzen geführt werden können.

2. Die Wissenschaft ist im Verstand. Es gibt aber Wissenshaften und Wesensbestimmungen von den stofflosen Subtanzen. So gibt Johannes von Damaskus eine Wesensbestimmung des Engels; über die Engel werden auch bestimmte Lehrsätze sowohl in den theologischen als auch den philosophischen Wissensgebieten vorgetragen. Die stofflosen Substanzen können also von uns erkannt werden.

3. Die menschliche Seele gehört zu der Gattung der stofflosen Substanzen. Sie kann aber von uns erkannt werden durch ihre Tätigkeit, durch die sie das Stoffliche erkennt. Folglich können auch die anderen stofflosen Substanzen durch ihre Wirkungen in den stofflichen Dingen von uns erkannt werden.

4. Nur jene Ursache kann durch ihre Wirkungen nicht wahrgenommen werden, die von ihren Wirkungen einen unendlichen Abstand hat. Das ist aber Gott allein eigen. Folglich können andere, geschaffene stofflose Substanzen durch stoffliche Dinge von uns erkannt werden.

ANDERSEITS sagt Dionysius ,,Durch Sinnfälliges kann Verstehbares, durch Zusammengesetztes kann Einfaches und durch Körperliches kann Unkörperliches nicht wahrgenommen werden."

ANTWORT: Wie Averroes berichtet, hat ein gewisser Avempace behauptet, wir könnten durch die Erkenntnis der stofflichen Substanzen an Hand der wahren Grundsätze der Philosophie zur Erkenntnis der stofflosen Substanzen gelangen. Da nämlich unser Verstand die natürliche Anlage habe, die Wesenheit des stofflichen Dinges aus dem Stoff abzuziehen, so werde er, wenn noch etwas von Stoff an dieser Wesenheit sei, auch davon absehen können. Und da das nicht ins Unendliche so weitergehe, werde er schließlich dazu gelangen, eine Wesenheit zu erkennen, die gänzlich ohne Stoff sei. Und das heiße: eine stofflose Substanz erkennen.

Nun könnte man zwar diese Behauptung gelten lassen, wenn die stofflosen Substanzen die Formen und Artbilder der stofflichen Dinge hienieden wären, wie die Platoniker gelehrt haben. Nimmt man dies aber nicht an, sondern setzt man voraus, dass die stofflosen Substanzen von ganz anderer Art sind als die Wesenheiten der stofflichen Dinge, so mag unser Verstand die Wesenheit des stofflichen Dinges noch so sehr aus dem Stoff abziehen: er wird niemals zu etwas gelangen, das der stofflosen Substanz ähnlich ist. Deshalb können wir durch die stofflichen Substanzen die stofflosen Substanzen nicht vollkommen erkennen.

Zu 1. Wir können von den stofflichen Dingen zu einer gewissen, jedoch nicht zu einer vollkommenen Erkenntnis stoffloser Dinge aufsteigen; denn es gibt keine hinreichende Übereinstimmung zwischen den stofflichen Dingen und dem Stofflosen; sondern die Ähnlichkeiten, die man etwa aus dem Stofflichen nimmt, um das Stofflose zu erkennen, sind, wie Dionysius sagt, sehr unähnlich.

Zu 2. Von den oberen Dingen wird in den Wissenschaften meist über den Weg des Ausschlusses gehandelt; so kennzeichnet Aristoteles die Himmelskörper durch Verneinung der Eigentümlichkeiten der unteren Körper. Daher können noch weit weniger die stofflosen Substanzen von uns so erkannt werden, dass wir ihre Wesenheiten erfassten; vielmehr werden uns in den Wissenschaften die Lehren von ihnen über den Weg des Ausschlusses und eines gewissen Verhältnisses übermittelt, das sie zu den stofflichen Dingen haben.

Zu 3. Die menschliche Seele erkennt sich selbst durch ihr Denken, das die ihr eigentümliche, ihr Vermögen und ihre Natur vollkommen offenbarende Tätigkeit ist. Jedoch weder dadurch, noch durch anderes, was sich in den stofflichen Dingen findet, können Vermögen und Natur der stofflosen Substanzen vollkommen erkannt werden, weil alles dies deren Vermögen nicht gleichkommt.

Zu 4. Die geschaffenen stofflosen Substanzen kommen zwar nicht in der natürlichen Gattung mit den stofflichen Substanzen überein, weil Möglichkeit und Stoff nicht auf dieselbe Weise in ihnen sind; wohl aber kommen sie mit ihnen in derselben logischen Gattung überein; denn auch die stofflosen Substanzen stehen in der Urgattung der Substanz, weil ihre Wesenheit nicht ihr Sein ist. Gott dagegen kommt mit den stofflichen Dingen weder in der natürlichen, noch in der logischen Gattung überein, weil Gott in keiner Weise einer Gattung angehört, wie oben gezeigt worden ist. Daher kann durch die Ähnlichkeiten der stofflichen Dinge von den Engeln etwas in bejahendem Sinne der Gattung nach erkannt werden, wenn auch nicht der Art nach, von Gott dagegen in keiner Weise.

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90. FRAGE
ÜBER DIE ERSTE ERSACHFUNG DES MENSCHEN UND SEINER SEELE

3. ARTIKEL

Ob die Vernunftseele unmittelbar von Gott hervorgebracht wurde

1. In der Geisterwelt besteht eine größere Ordnung als in der Körperwelt. Die niedern Körper werden aber durch die höheren hervorgebracht (Dionysius). Also werden auch die niederen Geister, die Vernunftseelen, durch die höheren Geister, die Engel, hervorgebracht.

2. Das Endziel der Dinge entspricht ihrem Ursprung; Gott ist aber Ursprung und Endziel der Dinge; also entspricht auch der Ausgang der Dinge vorn Ursprung der Rückführung der Dinge zum Endziel. ,,Die niedersten Dinge werden aber durch die ersten zuriick geführt" (Dionysius) . Also nehmen auch die niedersten Dinge ihren Ausgang ins Dasein von den ersten, nämlich von den Engeln aus.

3. ,,Vollkommen ist, was ein sich Ähnliches machen kann" (Aristoteles). Die geistigen Selbstandwesen sind aber viel vollkommener als die körperlichen. Da nun die Körper Artähnliches hervorbringen, können also die Engel weit eher etwas der Art nach Unvollkommeneres als sie selbst sind, machen, nämlich die Vernunftseele.

ANDERSEITS heißt es Gen 2,8: ,,Gott hauchte in das Antlitz des Menschen den Odem des Lebens."

ANTWORT: Einige haben behauptet, die Engel brächten, insofern sie in der Kraft Gottes tätig sind, die Vernunftwesen hervor. Das ist aber gänzlich unmöglich und gegen den Glauben; denn wir haben in Art. 2 gezeigt, dass die Vernunftseele nur durch Schöpfung hervorgebracht werden kann. Einzig Gott aber kann erschaffen, weil es einzig dem Erstwirkenden zukommt, ohne vorliegenden Werkstoff tätig zu sein. Denn das Zweitwirkende setzt immer etwas vom Erstwirkenden [Geschaffenes] voraus (65, 3). Was aber etwas aus einem vorliegenden Werkstoffe wirkt, wirkt durch Veränderung. Darum ist jedes Wirkende nur verändernd tätig; Gott allein ist indes erschaffend tätig. Da nun die Vernunftseele nicht durch Veränderung eines Werkstoffes hervorgebracht werden kann, darum kann sie nur unmittelbar von Gott hervorgebracht werden.

Damit ist die Lösung der Einwände gegeben. Denn dass die Körper Ähnliches oder Niedrigeres hervorbringen und dass die höheren Wesen die niederen [zum Endziel] zurückführen, geschieht durch bestimmte Veränderung.

93. FRAGE
ÜBER DAS ZIEL UND DIE BESTIMMUNG DER ERSCHAFFUNG DES MENSCHEN

3. A R T 1 K E L

Ob der Engel in vollkommenerer Weise ein Ebenbild Gottes ist als der Mensch

1. Augustinus sagt, Gott habe keinem Geschöpfe das Nach-dem-Bilde-Sein verliehen außer dem Menschen. Es ist also nicht wahr, dass der Engel in einem höheren Sinne ,nach dem Bilde Gottes‘ genannt wird als der Mensch.

2. Augustinus sagt: ,,Der Mensch ist so nach dem Bilde Gottes, dass er ohne Vermittlung eines Geschöpfes von Gott gebildet wurde; darum ist nichts Ihm [Gott] näher verbunden." Bild Gottes nennt man aber ein Geschöpf, insofern es mit Gott verbunden ist. Also ist der Engel nicht mehr nach dem Bilde Gottes als der Mensch.

3. Man sagt, ein Geschöpf sei ,nach dem Bilde Gottes‘, insoweit es eine Vernunftnatur besitzt. Eine Vernunftnatur aber lässt sich weder steigern noch abschwächen; denn als Selbstandwesen gehört sie nicht zur Gattung der Beiwesen. Also ist der Engel nicht mehr nach dem Bilde Gottes als der Mensch.

ANDERSEITS sagt Gregor in einer Schriftpredigt: ,,Der Engel wird ein Siegel der Ähnlichkeit genannt, weil in ihm die Ähnlichkeit des göttlichen Bildes mehr ausgeprägt erscheint."

ANTWORT: Von einem Bilde Gottes können wir in doppelter Weise sprechen: erstens mit Bezug auf das, worin die Bewandtnis des Bildes zunächst betrachtet wird, das ist. aber die Vernunftnatur. Und unter diesem Gesichtspunkt ist das Bild Gottes in den Engeln vollkommener als in den Menschen, weil in ihnen die Vernunftnatur vollkommener ist (58, 3 ;75, 7, Zu 3).

— Zweitens kann man das Bild Gottes im Menschen betrachten mit Bezug auf das, worin es in zweiter Linie gesehen wird, insofern nämlich im Menschen darin eine Nachahmung Gottes vorliegt, dass der Mensch vom Menschen ist, wie Gott von Gott ist; ferner dass die Seele des Menschen ganz im ganzen Leibe und ebenso in jedem seiner Teile ist, wie Gott sich [in ähnlicher Weise] zur Welt verhält. Unter diesen und ähnlichen Gesichtspunkten liegt im Menschen ein vollkommeneres Ebenbild Gottes vor als im Engel. — Aber dies begründet nicht an sich die Gottebenbildlichkeit im Menschen, sondern nur unter Voraussetzung jener ersten Nachahmung, die in der Vernunftnatur begründet liegt. Anderenfalls wären auch die unvernünftigen Tiere nach dem Bilde Gottes. Da also der Engel, was die Geistnatur angeht, in vollkommenerer Weise nach dein Bilde Gottes ist als der Mensch, so muss man schlechthin zugeben, der Engel sei in vollkommenerer Weise nach dem Bilde Gottes, der Mensch aber unter gewissen Gesichtspunkten.

Zu 1. Augustinus schließt von der Gottebenbildlichkeit die anderen niederen Geschöpfe, die keine Vernunft haben, aus, nicht aber die Engel.

Zu 2. Wie das Feuer seiner Art nach als der feinste unter den Körpern bezeichnet wird, wenngleich das eine Feuer feiner ist als das andere, so sagt man auch, in der Gattung der Geistnatur sei Gott nichts näher als der Menschengeist, weil, wie er (Augustinus) selbst vorausgeschickt hatte, ,,die erkennenden Wesen ihm an Ähnlichkeit so überaus nahe stehen, dass sich in den Geschöpfen nichts Näheres vorfindet". Das schließt also nicht aus, dass der Engel mehr nach dem Bilde Gottes ist.

Zu 3. Wenn es heißt, ,,eine Substanz nehme kein Mehr und kein Weniger an" [Aristoteles], so bedeutet das nicht, dass die eine Substanz nicht vollkommener sei als die andere, sondern es bedeutet, dass ein und dasselbe Einzelwesen an seiner Artnatur nicht einmal mehr, einmal weniger Teil hat. Auch haben verschiedene Einzelwesen an der Artnatur nicht mehr oder weniger Teil.

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94. FRAGE
ÜBER DEN ZUSTAND UND DIE BEDINGUNG DES ERSTEN MENSCHEN UND SEINEM VERSTEHEN

2. ARTIKEL

Adam im Unschuldsstande die Engel in ihrem Wesen geschaut hat

1. Es scheint, dass Adam im Unschuldsstande die Engel in ihrem Wesen geschaut hat; denn Gregorius sagt: ,,Im Paradiese pflegte der Mensch sich der Worte Gottes zu erfreuen und durch die Reinheit des Herzens und die Erhabenheit der Schau bei den Geistern der seligen Engel zu weilen."

2. Die Seele wird im gegenwärtigen Zustande an der :Erkenntnis der stofffreien Selbstandwesen dadurch behindert, dass sie mit dem vergänglichen Leibe vereinigt ist, ,,die Seele beschwert", wie es in Weish 9,15 heißt. Darum kann auch die abgeschiedene Seele die stofffreien Selbstandwesen schauen, wie gesagt wurde. Die Seele des ersten Menschen wurde aber nicht durch den Leib beschwert, da dieser nicht sterblich war. Also konnte sie die stofffreien Selbstandwesen sehen.

3. Ein stofffreies Selbstandwesen erkennt das andere, indem es sich selbst erkennt, wie es im Buch von den Ursachen heißt. Die Seele des ersten Menschen erkannte sich aber selbst. Also erkannte sie auch die stofffreien Selbstandwesen.

ANDERSEITS war die Seele Adams derselben Natur wie unsere Seelen. Unsere Seelen können aber im jetzigen Zustande die stofffreien Selbstandwesen nicht erkennen. Also vermochte auch die Seele des ersten Menschen dies nicht.

ANTWORT: Der Zustand der Menschenseele kann in doppelter Weise unterschieden werden. Erstens gemäß der verschiedenen Weise ihres natürlichen Seins; in dieser Weise unterscheidet man den Zustand der abgeschiedenen vom Zustand der mit dem Leibe verbundenen Seele. Zweitens unterscheidet man den Zustand der Seele nach Unversehrtheit und deren Verlust, wobei die der Natur gemäße Seinsweise gewahrt bleibt; so unterscheidet man den Zustand der Unschuld vom Zustand des Menschen nach der Sünde. Denn die Menschenseele war im Unschuldsstande auf die Vervollkommnung und Leitung des Körpers hingeordnet wie auch im jetzigen Zustande. Darum heißt es, der erste Mensch sei ,,zu einer lebendigen Seele" gemacht worden [Gen 2,7], d. h. zu einer solchen, welche dem Körper das Leben gibt, nämlich zu einer sinnbegabten. Er besaß aber die Unversehrtheit dieses Lebens, insofern der Leib der Seele gänzlich unterworfen war und sie in keiner Weise behinderte (Art. 1). Aus dem Gesagten ist aber offenbar, dass der Seele wegen ihrer Hinordnung auf die Leitung des Leibes und auf die Vervollkommnung des sinnlichen Lebens eine durch die Hinkehr zu den Vorstellungsbildern gekennzeichnete Erkenntnisweise eignet. Darum kam diese Erkenntnisweise auch der Seele des ersten Menschen zu.

Gemäß dieser Erkenntnisweise findet sich aber in der Seele eine gewisse Bewegung vor, wie Dionysius sagt, und zwar in dreifacher Stufung. Eine erste Stufe, gemäß deren die Seele sich ,,von den äußeren Dingen auf sich selbst sammelt". Die zweite, gemäß deren die Seele sich ,,zur Vereinigung mit den höheren [mit Gott] vereinigten Kräften erhebt", nämlich den Engeln; die dritte Stufe ist jene, gemäß deren sie weiter ,,zu jenem Gute empor geführt wird, das über allem steht", nämlich zu Gott. — Gemäß dem ersten Aufstieg der Seele, der von den äußern Dingen zu sich selbst führt, vollzieht sich die Erkenntnis der Seele [selbst]; weil nämlich die geistige Tätigkeit der Seele eine natürliche Hinordnung auf die äußern Dinge hat, so kann unsere geistige Tätigkeit durch sie vollkommen erkannt werden, wie der Akt durch seinen Gegenstand. Und durch die geistige Tätigkeit kann der menschliche Verstand vollkommen erkannt werden, wie das Vermögen durch den ihm eigentümlichen Akt. — In der zweiten Bewegung hingegen liegt keine vollkommene Erkenntnis vor. Denn da der Engel nicht durch die Hinkehr auf die Vorstellungsbilder, sondern auf viel erhabenere Weise erkennt (55, 2), so führt die genannte Erkenntnisweise, in der die Seele sich selbst erkennt, nicht hinreichend zur Erkenntnis der Engel. — Noch viel weniger ist das Ergebnis der dritten Bewegung eine vollkommene Erkenntnis. Denn selbst die Engel können wegen der Erhabenheit des göttlichen Wesens durch ihre Selbsterkenntnis nicht zu deren [vollen] Erkenntnis vordringen.

So konnte die Seele des ersten Menschen also die Engel zwar nicht durch deren Wesenheit erkennen; aber sie besaß doch eine höhere Weise, sie zu erkennen, als wir sie besitzen; denn sie besaß größere Sicherheit und war beständiger auf die inneren geistigen Wirklichkeiten hingeheftet als unsere Erkenntnis. Wegen dieser Erhabenheit sagt Gregor, ,,er [der erste Mensch] habe bei den Geistern der Engel gewohnt".

Zu 1. ist daher die Lösung gegeben.

Zu 2. Dass die Seele des ersten Menschen eine unvollkommene Erkenntnis der stofffreien Selbstandwesen besaß, hatte seinen Grund nicht in einer Beschwerung von Seiten des Körpers, sondern darin, dass der ihr naturgemäße Gegenstand an die Erhabenheit der stofffreien Selbstandwesen nicht heranreichte. Wir aber sind aus beiden Gründen dazu unfähig.

Zu 3. Die Seele des ersten Menschen konnte durch ihre Selbsterkenntnis nicht zur Erkenntnis der stofffreien Selbstandwesen vordringen (Antwort). Denn auch jedes stofffreie Selbstandwesen erkennt das andere nach der Weise, wie es sich selbst erkennt.

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